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J U G E

41. JAHRGANG

N D

1 9 3 6 / N R. 3 4

Gedenken an einen gefallenen Freund

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Mir ist, als hättest du wieder
Den Glanz deiner Heimat geschaut.
Es hängen die Weiden hernieder
Der Fluß zieht mit silbernem Laut.

Da steht noch der alte Flieder
Wo du küßtest die kleine Marie
Ich sah sie manchesmal wieder
Aber lachen hört ich sie nie.

Es lärmen noch immer die Knaben
Wie einst um das moosige Wehr,
Die Königskerzen im Graben
Stetin wieder von Lichtern schwer.

Es blühen auch noch wie immer
Die roten Geranien ums Haus.

Aus dem Fenster vor deinem Zimmer
Schaut oft deine Mutter heraus.

Am Wall, wo der 'Turm steht umblaut
Da sprachst du dein erstes Gedicht.
Aus Ginster und wölkendem Kraut
Hob der Mittag sein goldnes Gesicht.

Ihre Hände sind alt und voll Schwielen
Und ihr Mund wurde schmäler vor Gram,
Seit du liegst mit den Anderen, Vielen,
Unterm Hügel am Chemin des Damcs.

SS

BIWAK AM LAXEN

ERZÄHLUNG VON GERT LYNCH

Die Läxenwand, die den Talkessel nach Norden beherrscht, ist uber-
hängig. Wie ein riesiges Nest auS Wülsten und Zacken klebt das Ge-
stein am steilen Massiv.

Täglich bröckelt eS von der Läxenwand. Sandkörper schlittern her-
unter, Ouarzkugeln graupeln, und zuweilen poltert ein dicker Brocken
in schiefen, schusseligen Sprüngen über die Halde.

Unterhalb, wo die Schroffen in sanfter Lehne verlausen, liegt der
Läxenhof. Hier haust und heimatet rechtschaffen der Lenz von der

Der Schwitz tröpfelt ihm von der Stirn. Heute, an diesem abge-
schafften und halben Feiertag, soll der Spältenzaun fertig werden, der
den Steinschlag der Läxenwand fängt.

Es geht in den Halberabend hinein. Das Nebelreißen hat nach-
gelassen. Hoch oben im Blauen stehen schmale Wolkenspangen, ge-
stochen scharf und wellig hingeweht wie ein Gesträhne Flachs.

Lenz schiebt die Rechte über die Brauen und äugt hinauf. Schlecht
Wetter gibt das, sinniert er schwerblütig, und reibt die Gelenke. Jedes-
mal, wenn die Witterung umschlägt spürt er den Gichtwurm.

In diesem Augenblick wischt ein Häher vorüber und verliert eine
Eichel. Sie klopft dem Lenz mjt einem kleinen BumS auf den Schädel
und hopst nach steilem Bogen zwischen die Grasnarbe.

Lenz ist erschrocken bis ins Mark. Langsam bückt er sich und hebt die
Eichel auf. Aber sein Auge haftet nicht an der grünen Schale, eS geht
hindurch und wandert weiter, über den Brombeerenbruch nach der
Schuttsenke und die Gerölle hinauf zum Gefelse des Läxen. Lenz bohrt
das Auge mit solcher Kraft in die nackte Wand, daß der Blick zurück-
prallt bis in den hintersten Schädel und dort ein kleines fades Gewicht
bereitet wie ein pelziger Rettich auf nüchterner Zunge, bind das kleine
Gewicht beginnt sich zu drehen, schneller und immer schneller, bis das
hohe Sausen eines Zugwindes im Ohre liegt. Lenz steckt den Zeigefinger
in das Gehör und beutelt den dünnen, siedenden Ton heraus. Sein Ge-
sicht verzieht sich, als ob es von etwas Grellem geblendet würde.

Lenz schaut auf. Mitten über dem Läxen ist eine auögefranste Wolke
erstarrt. Es schaut sich an, als ob der Berg eine Joppe lose und rauf-
lustig um die Gebeine geworfen hätte und eine unsichtbare Geißel
schwinge, deren Schnur mit einem deutlichen schwarzen Knoten über
das Tal schlingert. Lenz drückt sich mit dem Fingerknöchel über die
Lider und erkennt in dem schwarzen Knoten den Geier. Wie wunder-
lich, daß die Flugbahnen des Vogels im Leeren hängen bleiben und ge-
rinnen und die Luft mit Gewirren von Rissen verschneiden.-

Da streicht der Geier zu Horste, und die Risse verdunsten, aber das
ganze Läxenmassiv ist verhext und verschwunden.

Lenz gurgelt an einem Schrei, der im Nachen erstickt und als heiße
Puste herauSpfeift. Der Schreck zuckt in die Haare hinauf, daß die
Krähenfeder am Hute sich rollt. Das Entsetzen fliegt lähmend auf
seinen Willen. Er macht die Finger krumm und drückt die Kinnlade
heraus, um das Schlottern aus feinem Kniekehlen zu vertreiben. Dann
läuft er, was die Beine hergeben und die Lunge erkeuchen kann.

Mit einem Sprung auf gut Glück setzt, er über den breiten Osterbach.
Er meidet den krummen Weg, rennt durch das Korn, turnt über die
Kiefernstangen der Diehhürde und nähert sich seinem Anwesen von der
Hinterseite. Die filzige Fichtenhecke, die den Hof umgürtet, hemmt
seinen Lauf. Sein Auge fällt auf den Mistwagen, der auf dem Kraut-
acker steht. Er reißt den Bolzen heraus, packt die Deichsel, wo sie am
längsten ist, und schmettert sie in die Hecke hinein, daß die Reiser fliegen
und eine Furt klafft. Er zwängt sich hindurch, nimmt ein schweres
Backofenscheit von der Schichte, stößt das Fensterkreuz und die Scheiben
hinein und springt in die Stube.

Zenz, seine Frau, läßt den Muslöffel fallen lind verjagt jich mit
offenem Munde.

„Der Läxen springt!" brüllt er und japst nach Odem. „Sofort auf
die Scherenhöh! Nimm das Geld zu dir und gib die Kleider heraus und
die Federbetten! Aber schnell, schnell!"

Zenz gehorcht blindlings.

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Gert Lynch: Biwak am Läxen
Rudolf Kreutzer: Gedanken an einen gefallenen Freund
 
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