Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Karo, Georg
Religion des ägäischen Kreises — Leipzig [u.a.], 1925

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14548#0009
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
^Illlllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllll^

| Religion des ägäischen Kreises.

Wo schriftliche Quellen fehlen, ist unsere nachgebildet, wenn auch lange nicht so lebendig
Kenntnis von Religion und Kult not- und viel stärker stilisiert als die primitiven
gedrungen spärlich. Dies gilt in hohem Maße neolithischen Figürchen. Charakteristisch ist
für den ägäischen Kulturkreis, der Griechenland ihre flache , oft beinah brettförmige Gestalt
mit seiner Inselwelt und der kleinasiatischen und das starke Ueberwiegen nackter Frauen
Westküste umfaßt. Zwei große Epochen lassen mit über dem Leib gekreuzten Armen und ge-
sich scheiden: I. Die neolithische, mit legentlich deutlicher Angabe der Schwanger-
ziemlich einheitlicher Kultur auf dem gesamten Schaft; männliche Figürchen, sitzende Frauen,
Gebiet einschließlich Kretas (Anfang unsicher, Mütter mit Kind, Harfner und Flötenspielerinnen
Ende um 3000 v. Chr.), II. Die minoisch- treten nur ganz vereinzelt auf und scheinen
mykenische (III.—II. Jahrtausend). wiederum eher Sterbliche als Götter zu sein.

Neolithische Funde von religiöser Bedeutung Neben diesen leidlich menschengestaltigen Idolen
sind auf tönerne und steinerne Idole aus Wohn- liefern auch die Kykladen eine Menge der be-
statten beschränkt (Gräber aus dieser Epoche kannten abstrakten Gebilde, die aber in ihrer
fehlen bisher): dargestellt sind ganz überwiegend Formengebung gegenüber den neolithischen und
nackte Frauen mit starker Betonung des Ge- den troischen selbständig sind. Die Inselidole
schlechts, meist sind sie sehr fett, steatopyg; sind mehrfach nach Kreta exportiert und dort
besonders gilt dies für die ältere neolithische hoch geschätzt worden, so daß man auch zer-
Periode (Abb. 1 — 4), während in der jüngeren brochene und geflickte Exemplare den Toten
flachere Formen vorkommen ; in einzelnen Fällen ins Grab legte (Abb. 13). Auf dem grie-
mögen auch schwangere Frauen gemeint sein. chischen Festland erscheinen sie seltener,
Unter den jüngeren Typen erscheint auch ge- während anderseits in Sparta (Abb. 8) und
legentlich eine Mutter mit einem Kinde (be- Aegina ein Fortleben der uralten steatopygen
sonders schönes und großes Exemplar aus Di- Typen nachweisbar ist. Die jüngsten Beispiele
mini bei Tsuntas, Jl/.ii]viov y.al lea/J.ov Tf. 31). nackter weiblicher Figürchen sind die Gold-
Gegenüber diesen massenhaften weiblichen Idolen plättchen aus den Schachtgräbern von Mykenai
sind männliche sehr selten: ein riesiges Exem- (Abb. 56, XVI. Jh. v. Chr.) und die Tonidole
plar aus Thessalien ist leider ohne Fundum- aus der späten Hauskapelle von Knossos
stände ins Athener Museum gelangt (Wace- (Abb. 14, XIV./XIII. Jh.); dies sind die einzigen
Thompson, Prehistoric Thessaly S. 56f., Höhe ganz unbekleideten Figuren der minoisch-
0,48 m). Neben solchen verhältnismäßig rea- mykenischen Kultur, die sich in ihrer Scheu
listischen Figuren erscheinen in der jüngeren vor allem Nackten oder Sexuellen sehr scharf
neolithischen Zeit auch ganz roh modellierte von der griechischen unterscheidet,
und vollkommen schematische, gewissermaßen Auf Kreta zeigt schon die neolithische
Ideogramme des Begriffes „Frau" (Abb. 5, 9), Epoche besondere Züge (Abb. 10); vollends die
eben deswegen zweifellos religiöser Bedeutung, darauf folgenden drei minoischen Perioden
während die „naturgetreuen" Statuetten schließ- stellen eine ganz eigenartige, auch in religiöser
lieh auch einfache Sterbliche darstellen könnten. Hinsicht durchaus geschlossene Entwicklung
Sehr merkwürdig ist die Verbindung tönerner dar (Zeittafel unten S. VIII). Im Frühminoischen
Körper mit steinernen Köpfen (Abb. o), sowie (etwa 3000 — 2100 v. Chr.) können wir bereits
die ganz konventionelle Bemalung mit Orna- Kultstätten in natürlichen Höhleu nachweisen
menten, die mit der menschlichen Gestalt gar (Arkalochori bei Praisos, Niru Chani nordöstlich
nichts zu tun haben. Die bildliche Tradition von Knossos). Dabei ist niemals ein Versuch
überlebt die neolithische Periode: Idole beider gemacht worden, durch Abarbeitungen oder
Typen finden sich noch bis weit ins II. Jahr- Einbauten die natürliche Gestalt der Höhle zu
tausend hinein in der II. Stadt von Troja, wo verändern. Auch Altäre fehlen, ebenso alle
neben einer Unmenge ganz schematischer ab- Idole. Die Weihegaben umfassen Tongefäße,
strakter Gebilde (Abb. 6) ein merkwürdig lebens- kupferne Geräte und Waffen, darunter kleine
wahr anmutendes Idol aus Blei erscheint (Abb. 7); Doppelbeile: das früheste Vorkommen dieses
ferner auf den Kykladen, deren Gräber zahl- wichtigsten minoischen Kultsymbols (Abb. 23).
reiche marmorne Figuren von winzigem Maß- Solche Miniaturexemplare sind natürlich eigens
stabe bis zu 2/g Lebensgröße umfassen (Abb. 15). für den Kult angefertigt. Die Gottheit, der
Auch diese marmornen „Inselidole" sind zum sie geweiht wurden, läßt sich nicht näher be-
größeren Teil der Wirklichkeit einigermaßen stimmen. -—■ Der Totenkult ist bereits hoch
 
Annotationen