Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

DOI Artikel:
Über Berliner Damenmalerei
DOI Artikel:
Presber, Rudolf: "Poberetto", [4]: Novellette
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0077

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
52 Über Berliner Damcnmalcrei. von 6. IN. — „Poveretto". Novellette. von R. presber

Einnahme fließt ihm aus der verhältnismäßig geringen Mühewaltung! Gern würde man ihm das fette Taschen-
geld gönnen, wenn damit zugleich in allen Füllen das ernste sittliche Wollen des Lehrers verknüpft wäre. Bei
den meisten aber nur die kaufmännische Seite der Medaille: durch eine möglichst große Zufuhr an Schülerinnen
einen möglichst guten Jahresabschluß zu erzielen! Die Anfängerin, wie die beinahe fertige Künstlerin, die durch
Schwatzen störende Dilettantin, wie die für den Erwerb arbeitende ernste Malerin — alle werden wie Heringe in
den engen Raum gepfercht; ohne Platz, das Bild in gehöriger Entfernung betrachten zu können, schwebt Künstlerin
und Kunstwerk in ständiger Gefahr, den Bächen der Aquarellgläser oder den Sikkativflnten der Nachbarinnen
zu erliegen, der schwereren Unglücksfälle durch umfallende Malstöcke nicht zu gedenken. Einigemale in der Woche
erscheint der Lehrer, um in einer Stunde 40 bis 60 Damen zu korrigieren! Mit einem „Haare sollen das
sein? Stroh, Stroh, nichts als Stroh!" — geht er zu einer andern: „Da haben Sie statt der Augen Knopf-
löcher gezeichnet!" u. s. w. — Und dafür 60 M. im Monat!

Ja, mit vielen Zwanzigmarkstücken muß die arme Künstlerin ihren Weg zum Parnaß selber pflastern.
Sauer ersparte oder erarbeitete 50 M. wandern allein für den Vormittagsunterricht allmonatlich in die Hand
des Meisters, eine Summe, welche einzelne Herren — wohl kaum nach ihrer Tüchtigkeit, sondern nach dem
Gewicht ihrer Persönlichkeit, ans 60 M. erhöht haben. Dazu kommen 15 bis 20 M. für die Nachmittags-
kursc im figürlichen Zeichnen und das Modcllgeld für Porträt- und Genremalerei. Und endlich ist es für-
alle Geldopfer der Künstlerin in Berlin kaum möglich, gründliche figürliche Studien zu machen. Wo in Berlin
ist ein Damenatelier, welches Platz für lebensgroße figürliche Zeichnungen böte? Und wo soll eine Frau
gründlich Anatomie und Akt lernen? Alles, was bisher dort an schwachen Privatnnternehmungen existiert, ist
so kläglich und ungenügend, daß die Provinz selbst bessere Mittel und Wege bietet; gestattet doch Breslaus
vortreffliche Kunstschule auch Damen, sich am dortigen Akt- und Anatomieunterricht zu beteiligen. Wenn in
einer Provinzialstadt ein solcher gemeinsamer Unterricht ohne sittliche Schädigung besteht, sollte er in der
Reichshanptstadt unmöglich sein? Oder ist Berlin unsittlicher? Und sollte selbst in den beiden fraglichen
Feldern eine solche Vereinigung der Geschlechter ausgeschlossen erscheinen, so kann doch wahrlich selbst die eng-
herzigste Prüdcrei bei einer Zuziehung der Frauen zu den andern Fächern der Akademie keinen Anstoß finden.
Oder sind die von unsrer besten Gesellschaft besuchten »Imins inixtss« in Ostende oder die gemeinschaftlichen
diesjährigen Nachtquartiere in Oberammergau etwa schicklicher? Privatateliers (das Atelier von Wichgraf und
die Kostümklasse von Professor Skarbina) haben durch ihr jahrelanges Bestehen bewiesen, daß eine Vereinigung
von Herren und Damen möglich ist, ohne Kunst und Moral zu schädigen. Nicht das kleinste Skandalhistörchen
kursiert darüber, nicht die winzigste Verlobung ist dort je passiert. — Da die kompetentesten unsrer Lehrer
den Frauen nachrühmen, daß sie an Fleiß und Energie ihre männlichen Schüler oft übertreffen, so dürfte von
einer Zulassung der Frauen an die Akademie nur Gutes fiir den Ton derselben zu erwarten sein. Denn für
diejenigen Schüler, welche das Ewig-Weibliche nicht „hinanzieht", wohl aber von der Kunst „abzieht", hat sich
auch unter den bestehenden Verhältnissen von jeher außerhalb der Akademie reichlich dazu Gelegenheit geboten.

Möchte doch, ehe der utopische Staat des Herrn Bellamy über uns hereinbricht, in nicht allzulangcr
Zeit, ehe noch Straßenfeger und Minister sich brüderlich umarmen, sich das bescheidene Ideal des Verfassers
verwirklichen: Zulassung der Frauen zur Akademie, ehe die besten Kräfte unter ihnen durch nächtliche kunst-
gewerbliche Arbeiten aufgerieben sind, um das Honorar für den Tagesunterricht zu erschwingen!

„Wovcretw"

Novellette. von Rudolf presber

(Fortsetzung aus dem vorigen Hefte)

er nächste Morgen traf mich noch süß schlummernd;
ich bin prädestiniert, das weiß ich, nie einen Sonnen-
aufgang zu sehen, entweder schläft die Sonne im Wolken-
bett und ich bin auf, wie mehrmals auf dem Rigi; oder
aber ich liege schlafend im Bett und sie lacht mir voll
und hell ins Gesicht, wenn ich aufwache, wie an jenem
Morgen im „Sandwirt" zu Venedig.

Ich sah auf meine Uhr; es war gleich zehn; also
hatte ich den besten Teil der Morgenkühle, die man sonst
hier im Frühherbst benutzen muß, verträumt und da war
nichts mehr einzuholen.

So machte ich mich denn gleich nach dem Frühstück
auf zum Atelier meines kleinen Bekannten. Da ich voraus

sah, ich werde allein die Wohnung nie finden, so nahm
ich mir am Markusplatz einen Jungen, der dort hcrum-
lungerte, bezeichnte ihm „Vicolo S. . ." als Ziel und
trabte vergnügt hinter ihm her; mein kleiner Begleiter
drehte ost seinen braunen Kopf nach mir, wohl um zu
sehen, ob ich nicht mit dem Kupferhonorar davongelanfen.
Es ging durch Gassen und Gäßchen, über Brücken, durch
schmale Passagen und ich dankte meinem Schöpfer, daß
ich nicht meiner eigenen Findigkeit zu viel vertraut hatte.
Endlich stand mein Führer vor einem hohen, wenig
schönen Hause still; die Gaffe war eine der engsten;
unten im Erdgeschoß war ein Laden, in dem alle jene
unnennbaren Gerichte zubcreitet und verkauft werden, die
 
Annotationen