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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Über die Beurteilung von Bildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0202

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Über die Bcurteilunn von Vttdcrn

üngst waren wir bei einem wohl akkreditierten
Münchener Maler zu Besuch. Wir sprachen über
Künstler und bedeutende Werke und tauschten unsre
Meinungen über dies und jenes Bild aus, ohne den
Widerspruchsgeist heraufzubeschwören, bis endlich ein
Stachel gefunden war. Wir erbaten die Ansicht des
Meisters über ein Bild des Hellmalers L. Schüchtern
pochten wir an die Pforte seiner Kompetenz — da kam
der verneinende Geist mit der ganzen Energie kampfbe-
reiter Überzeugung zum Vorschein, und ehe wir es uns
versahen, war der Richtcrspruch in vernichtendster Art
gefällt — grad' so wie wir ihn der unsres Erachtens

einen Maßstab der Beurteilung moderner Bilder? Es
kommt in Betracht: die Technik, das Motiv, die Kom-
position. Gibt es einen Kenner, der sein Urteil über
diese drei Faktoren dergestalt bilden kann, daß er jeden
anders Empfindenden, anders Sehenden so überführen
kann, daß jeder Widerspruch a priori unberechtigt er-
scheint, weil eben das von dem Kenner gefällte und einem
Beurteilungsgesetze nach gebildete Urteil keine andre
Meinung zuläßt. Die Zeichnung, die Verwendung des
künstlerischen Materials und die Behandlung des gewählten
Motives — das sind die gegebenen Größen, mit denen
die Künstler rechnen sollen. Wer also an die Beurteilung

Aus ls- Lai schs Skizzenbuch

mißlungenen Schöpfung von Herzen gewünscht. Noch
waren die Worte nicht verhallt, als ein Freund, gleich-
falls ein sehr geachteter Malerfürst, ins Atetier trat.
Dieser nahm den Faden der Unterredung auf, und siehe
da: sein Urteil hob das Werk des niedergeschmetterten
Künstlers in den siebenten Himmel! Es entspann sich
ein Wortgefecht, während dessen wir uns so still wie
möglich verhielten. Wir dachten: Wie ist es möglich,
daß zwei gleich bedeutende Künstler, wir wollen sogar
sagen, sehr bedeutende Künstler, zwei so entgegengesetzte
Urteile fällen können, und zwar nicht über die Wahl des
Motivs, über die ja gewiß verschiedene Meinungen
herrschen können, sondern über die technische Behandlung
des beiderseits als interessant anerkannten Gegenstandes!
Diese Erscheinung legte uns die Frage nahe: Gibt es

eines Bildes geht, der hätte diese Größen zu begutachten
und die Summe seiner Beurteilung müßte die Wert-
schätzung bemessen. Die Forscher der berühmten Meister,
die fleißigen Astronomen, die die Sterne am Kunsthimmel
studieren, betonen besonders die Zeichnung und Perspek-
tive, ja Leonardo da Vinci hat in seinem „Buch von der
Malerei" die genauesten Berechnungen über perspektivi-
sche Abweichungen und Maßveränderungen angestellt, und
gewissenhafte Forscher glauben bei zweifelhafter Urheber-
schaft eines Werkes den Spuren des Meisters in ein-
zelnen Linien folgen zn können. Die langen Finger sind
Leonardos Eigenart, in der üppigen Form ist Rubens zu
erkennen. Ivan Lermolieff sagt: Jeder bedeutende Maler
hat, sozusagen, seinen ihm eigentümlichen Typus von
Hand und Ohr. Er sagt: Jeder selbständige Maler hat
 
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