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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Seydlitz, Reinhard von: Vor- und nachmärzliche Kunstkritik
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Unsre Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0301

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2Z2

vor- und nachmärzliche Kunstkritik, von R. v. Scydlitz — Unsre Bilder, vom Herausgeber

wir fast nirgends im ganzen Buche etwas; der Verfasser
benützt sie, wie eine Spinne: er drückt an einer beliebigen
Stelle den Leib drauf und zieht von da ein luftiges
Gewebe von Bosheit und Witz weithinaus, überallhin,
ins Politische, ins Stöckersche, ins Knlturkümpfliche, wie
es gerade die Notwendigkeit, fortgesetzte Wortwitze zu
mache», erfordert. — Heil denen, die Heil dabei nicht trifft.
Bei Gelegenheit eines Meycrheimschcn Schafbildes (S. 22
des gen. Buches) weiß Heil zu betonen, daß „mancher
Steuerzahler mit Vergnügen sein Porträt heraus erkennen
werde, ans der Zahl der geknebelten, still duldenden
Schafsköpfe, die kaum eine Faust in der eben abgeschorencn
Tasche zu machen wagen". In diesem Wippchenstil geht
cs nun weiter, nichts ist verschont. Barbarossa heißt
„alter Schlnmmerkvpf und Rabcnkaiscr"; ein Bild,
Himmelfahrt Mosis, von Plockhorst, wird als „Wacht am
Rhein" besprochen : der zürnende Satan auf dem Gemälde
soll ein Napoleonide sein, „der sich im Hintergründe
seine Rheingclüste verkneift". „Der würdige Jubelgreis
in der braunen Kluft ist Moses selig", (Kluft ist ordi-
närstes Gassenberlinisch für Kleidung'!. — „Wie Haare
durch die Bouillon, ziehen sich durch Katalog und Säle
spärliche Heiligenbilder" (S. 26). — Ein Mohr, Brust-
bild, macht den Eindruck „eines schlecht gewaschenen
Nilpferdkalbes im Stcchkissen, weshalb junge Eheleute

davor gewarnt werden". Die Meeres!dhlle von
Böcklin begeistert Heil zu einem Gedicht, das gleich so
anfängt:

„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,

Dies llleeridyllirium?

Lin Märchen aus llrschleimzeiten"

— u. s. f. Dann heißt's weiter:

„Gelbsettig erglänzen die Glieder
von uraltem Leberthran;

Den Haaren klebt's hin und wieder
Wie Erbsen und Sauerkraut an.
llmdustet von bräunlichem Seetang
Erzittert das feuchte Nest,

Denn das Fischweib ist seekrank,

Und er hat die Wasserpest."

Bei A. v. Heydens „Märtyrer" lesen wir: „Wir
hoffen, daß der Verurteilte noch vor Beginn des Braun-
Werdens" (er soll geröstet werden) „sein Alibi Nachweisen
kann, da jeder rechtlich Denkende aussagen kann, daß
dies kein Märtyrer ist. Doch warten wir ab, ob
er vielleicht gebraten genießbarer ist." — Kurz abgemacht
werden folgende folgendermaßen: „Camp Hausen,
Kaiser in bekannter Güte, Moltke bei Bleib treu von
vorn, bei Harrach von hinten; was sonst von
Hünten zu sehen ist, stellt kleine Episoden des letzten
Krieges dar."

Unsre Dtlder

vom Herausgeber

Zwischen einem zürnenden Jupiter und einem alten
Kriminalrichter hält das Bildnis Ibsens von Frith-
jof Smith allerdings die Mitte. Daß das aber kein
gewöhnlicher Mann sei, der so scharf alle konventionellen
Lügen der Gesellschaft, ihre ewige Heuchelei durchschaut,
das sieht man ebenso gut, als daß diesem Jupiter der
vernichtende Blitz schwerlich fehle. Es liegt eine Furchtlosig-
keit, ja ein stolzes Machtbewußtsein im Ausdruck dieses
Kopses, wie sie nur einem König oder einem Dichter
gehören können. Nur fehlt demselben die Versöhnung,
sieht man die Unzufriedenheit des überlegenen Menschen-
kenners, so zweifelt man zugleich, daß er jemals lächeln
und verzeihen könne, man vermißt die Fähigkeit der Nach-
sicht für menschliche Schwächen. Sonst ist etwas in dein
Kopf, was entschieden an den alternden Goethe erinnert
und seine Herrscher-Majestät, von der hier nur die
olympische Heiterkeit fehlt, die durch viel nordische Kampf-
lust ersetzt wird. Daß Smith aber eine solche, uns so
tief beschäftigende Gestalt schaffen konnte, daß er den
Mut hatte, hier nur nach rücksichtsloser Wahrheit zu
streben, wie sein berühmtes Original selber, das machte
ihn denn auch gerade zur Lösung dieser Aufgabe besonders
geschickt und sein Bild zu einer der besten Charakter-
darstellungen der letzten Münchener Internationalen.

Feiert die modern naturalistische Kunst in Frithjof
Smiths Tichterbildnis einen entschiedenen Triumph, so
werden viele das bei Jimenez' Hospitalszcne weit weniger
finden, obgleich das daran verschwendete Talent gewiß
nicht geringer ist. Aber hier bildet die unglückliche
Hauptperson, die da vom Herrn Professor ans das Ge-
räusch ihrer Lungen untersucht wird, doch einen gar zu

beklemmenden Mittelpunkt des Interesses, weil sie dasselbe
unter andern Umständen niemals zu fesseln im stände wäre.
Tie Herren Studenten aber, die da dicht gedrängt zu-
sammcnstchcn, um durch die Leiden andrer ihr Wissen zu
vermehren, sind zwar in ihrer Art vortrefflich dargestellt,
aber doch zu gleichgültig gegen die arme halbtote Person,
als daß sic irgend einen andern als abkühlcuden Eindruck
machen könnten. Ter Krankenwärter aber und die Wärterin
vorne sind sogar geradezu widerwärtig in ihrem geheuchelten
Ernst bei innerlich vollkommener Teilnahmlosigkeit, ob
dir. so und so heute noch oder erst morgen sterben wird. —
Wenn cs sich um die Vivisektion eines Kaninchens handelte,
so könnte dieses ganze Personal auch nicht viel kalt-
blütiger sein. Das hat aber etwas entschieden Em-
pörendes. Nur der alte Professor ist ganz bei der
Sache, interessiert sich wenigstens für den „Fall", wenn
auch nicht für das arme gepeinigte menschliche Wesen.
Tic trostlose Kahlheit und Nüchternheit des weiten Kranken-
saals thut dann noch das übrige, um uns die unsägliche
Mangelhaftigkeit selbst gut gemeinter modern humaner
Einrichtungen zu versinnlichen, wo dem Leidenden nichts
fehlt als das Nötigste —- die Liebe! Nichtsdestoweniger
muß man gestehen, daß das alles mit einer ungewöhn-
lichen Kraft und Wahrheit geschildert ist, die einem
immerhin Respekt vor dein Talent des Malers wie vor dem
Mut einstößt, mit dem er unsre heutigen Zustände schildert.
Ta ist aber die Art, wie der Wiener Seligmann genau das-
selbe Motiv in seinem voriges Jahr mitgeteilten „Billroth-
schen Hörsaal" behandelte, immer noch vorzuziehen, indem er
das Barbarische des Vorgangs durch die weit energischere
Hervorhebung des wissenschaftlichen Interesses bei Dozent
 
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