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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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M., H.: Der junge Künstler von ehedem und heut
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Unsre Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0344

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Der junge Künstler von ehedem und heut, von H. M. — Unsre Bilder, vom Herausgeber

26?

Malerei gebracht. — Rein äußerlich, glaube ich, hat
die Vervollkommnung und Ausdehnung der Photographie
zur Verbreitung dieser Richtung beigetragen; innerlich
begründet ist sie ebenso, wie der Drang nach Licht und
Luft in der beweglichen Individualität unsrer heutigen
Zeit. Dem alten stabileren Entwickelnngsgang Deutsch-
lands steht das Hasten und Drängen des „Jetzt" gegen-
über; alles rauscht im hauptstädtischen Getriebe vorüber,
wie ein Moment: da muß die Kunst das Momentane
wählen! —

Licht, Luft, Bewegung und Natur sind die vier
lebenskräftigen und entwickelungsfähigen Elemente der
Gegenwart. Möge der moderne Künstler sich getrost in
ihnen tummeln, aber stets dabei des Wortes eines
großen Künstlers, nicht von heut und nicht von ehedem,
sondern von immerdar, eingedenk sein, das Vermächtnis
eines Anselm Feuerbach an sein Volk: „Im Positiven
die Poesie festzuhalten, ist die Aufgabe der Kunst."

Unsre Vildcr

vom Herausgeber

b der Titel des „Stolzes von Dijon" sich auf die Rosen,
welche ihre schöne Verkäuferin uns anbietet, oder
auf sie selber bezieht, wissen wir nicht, wahrscheinlich
ans die ersteren, wenn das schöne Mädchen auf dem
Bilde des englisierten Spaniers Calderon auch eine
ungleich anziehendere Rolle spielt. Übrigens ist sie durch-
aus keine verkleidete Lady, sondern eine echte und ge-
rechte Gärtnerin, deren Händen man es wohl ansieht, daß
sie zur Arbeit benutzt werden, wie der Frisur, daß die
Trägerin keine Zeit gehabt hat, lange vor dem Spiegel
zu stehen. Der sonst so scharf charakterisierende Calderon
erweist sich bei aller frischen Anmut, die er seinein
Mädchen leiht, doch auch hier nicht als Salonmaler,
sondern als jener echte Künstler, der bei der Lösung
seiner Aufgaben vor allem der Natur ihr Recht läßt.
In dieser Beziehung unterscheidet er sich gründlich von
jenen modern - antikisierenden englischen Künstlern, an
deren Spitze der einstige Schüler Steinles und jetzige
Präsident der Akademie Leighton steht, der es niemals
unter einer Jphigenia oder Medea thut. Auch von den
früheren englischen Almanach-Malern, denn Calderon
läßt seiner Gärtnerin sogar das heitere, wenn auch nicht
gerade geistreiche Lachen, das so gut zu ihrer von Jugend
und Gesundheit strahlenden Art stimmt und uns schon
durch seine unbefangene Fröhlichkeit einnimmt. Sie ist
eine Feldblume, wie ihre offenbar auf dem Acker ge-
zogenen Rosen, und erfrischt auch wie diese.

Etwas weniger süß duftend sehen freilich die
„Fahrenden Leute" von Diez aus, die bei ihrer Raft
auf irgend einer Flucht nach Ägypten geschildert werden,
wo das Familienhaupt nach beendigtem dürftigem Mahle
im Schatten des Gauls Mittagsruhe hält, während die
Frau, nachdem sie ihrem Sprößling die Brust gegeben,
denselben mit mütterlicher Zärtlichkeit betrachtet, obgleich er
nicht eben sehr weitgehende Ansprüche an Schönheit be-
friedigt. — Dennoch ist es gerade dieser Blick voll
Mutterliebe, welcher dem, das armseligste Leben schil-
dernden Bild einen versöhnenden, ja sogar tief gemüt-
lichen Zug beimischt und auch uns dasselbe erträglicher

erscheinen läßt. Nicht weniger aber auch, weil diese
Menschen so naiv und ungesucht wahr gegeben sind, wie
es nur einem großen Künstler gelingt, immer aber wohl-
thuend wirkt. Man muß sich da schon erinnern, daß
Deutschland noch im vorigen Jahrhundert voll von solchen
Heimatlosen stak, deren Existenz eine ganz anders trost-
lose war, als die unsrer heutigen Proletarier, denen
acht Stunden Arbeit schon fast zu viel sind. Was aber
an dem Bilde nicht weniger unwiderstehlich anzieht, das
ist die jedem alten Niederländer an malerischer Freiheit
gleichkommende Meisterschaft der Mache und die wunder-
bare Stimmung des Ganzen. Da könnten die heutigen
Verherrlicher der alten Weiber mit ihrer künstlich zur
Schau getragenen Genialität immer noch sehr viel daran
lernen. Dabei ist das Bild echt deutsch und kontrastiert
in seiner vollendeten Naturwüchsigkeit merkwürdig mit
dem geplagten Holländcrtum so vieler Neuesten, denen
die Absichtlichkeit an jedem Strich anzusehen. In Bezug
auf malerischen Reiz und Naturgefühl nimmt denn auch
Diez dicht neben Menzel und Knaus seinen Platz ein,
wird von keinem Neueren erreicht oder gar übertroffen,
weil er eben ein geborener Maler ist, der nicht mühsam
zu pumpen braucht, bis etwas halbwegs flüssiges heraus-
kömmt. —

Wenn andre Länder ihren Himmel, ihr Meer,
ihren Sonnenschein Preisen, so hat Deutschland dafür
seine herrlichen Wälder, in denen es allen voransteht.
Die Tannen des Schwarzwaldes wie die Eichen West-
falens und des Harzes, vor allem aber die köstlichen
Buchenwälder Holsteins und Norddeutschlands überhaupt
finden kaum irgendwo in der Welt ihresgleichen. Letztere
schildert nun in ihrer ganzen stolzen Pracht mit unge-
wöhnlichem Glück der Holsteiner Karl Rettich in unser»!
heutigen Bilde, wo die majestätisch sich zu domartigen
Gewölben zusammenschließenden Stämme hügelabwärts
ziehen, um sich in einsamen Seen oder in der heiligen
Meerflut zu spiegeln. Unter ihnen empfindet man denn
jene so weihevolle Stimmung, wie sie unser Bild vor-
trefflich wiedergibt, ja man glaubt in solchem heiligen
Hain der Gottheit näher zu sein, als irgend sonstwo,
und begreift wohl, daß unsre Ahnen ihre Opferaltäre
unter diese weiten grünen Hallen verlegten. Auch unsre
Dichtung schildert keinerlei Naturscenen so glücklich als
die Poesie des Waldes, der dem Italiener eher un-
heimlich ist, während ihm unsre Maler und Poeten ihre
schönsten Eingebungen verdanken und von Goethe bis
auf Lenau oder Heine nicht müde werden, sein ahnungs-
volles Schweigen oder Flüstern zu besingen.

Auch in der Kunst führen alle Wege nach Rom —
vorausgesetzt, daß unsre Beine lang genug sind, sie zu
gehen. So meint man beim ersten Blick auf Gari
Melchers „Abendmahl" in eine ganz gewöhnliche Speise-
anstalt zu kommen, ja in so eine jener bürgerlichen Küchen,
wo man fast hungriger hinausgeht, als hereinkommt, so
gründlich nüchtern sieht es da aus. — Erst bei näherem
Zusehen merkt man, daß da blos symbolisch geabendmahlt
wird, wie die Österreicher sagen, und daß wir statt ins
Wirtshaus, in einen kalvinistischen Betsaal geraten sind,
wo der Pastor seiner kleinen pietistischen Gemeinde eben
den Kelch herumreicht. Es scheinen lauter arme Arbeiter
und kleine Handwerker mit ihren Frauen und Töchtern,
die sich da versammelt haben, denen man die Not des
Lebens wohl ansieht und daß sie den Glauben an eine
 
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