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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 32.1916-1917

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Grimm, Richard: Die Otto Greiner-Gedächtnis-Ausstellung in Leipzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.13746#0341

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DIE OTTO GREINER-GEDÄCHTNIS-AUS-
STELLUNG IN LEIPZIG

Der Kunstverein feiert in seinen Räumen das
Andenken Otto Greiners, der im September
vorigen Jahres im Alter von 48 Jahren in München
einer tückischen Krankheit vorzeitig zum Opfer
gefallen ist, durch eine umfangreiche Gedächtnis-
ausstellung. Es ist ein reiches Werk, das Greiner
hinterläßt; und diese Unsumme von Fleiß, Energie
und Ausdauer ist bewunderungswürdig. Greiner
ist eine durchaus ehrliche Natur gewesen, und
darin werden ihm selbst seine Gegner ihre Sym-
pathien nicht versagen. Greiners Schaffen hatte
etwas Tragisches an sich, ähnlich der Tragik seines
Lebens. Er wollte durchaus etwas, was durchaus
nicht in seinem Vermögen lag. Und deshalb be-
deutet ein Teil seines Schaffens einen verhängnis-
vollen Irrtum. Ich meine damit seine „Schüler-
schaft" Klingers.

Greiner war ein schlichter Mensch aus dem
Volke, mit einfacher Schulbildung und einer star-
ken zeichnerischen und vielleicht auch malerischen
Begabung, die ausschließlich auf einen handfesten,
uneingeschränkten Naturalismus, auf die Wirklich-
keit, gerichtet war. Das beweist seine ganze erste
Schaffenstätigkeit. Bis zu dem Schießdiplom hat
sich seine Veranlagung ganz folgerichtig entwickelt
und geäußert. Und dieser starke und herbe Wirk-
lichkeitssinn, der aus diesen Arbeiten spricht, hat
die Aufmerksamkeit auf den Künstler gerichtet.—
Nun kommt seine Berührung mit Klinger und —
beinah ruckweise möchte man sagen — erhält seine
Kunst die verhängnisvolle Richtung. Mit der Zähig-
keit und der Energie, die Greiner eigen war, stürzt
er sich auf diese Bahn, und seine zeichnerischen
Fertigkeiten und sein bewunderungswürdiges tech-
nisches Können erzwingen ihm auch bedeutende Er-
folge. Aber er ahnt nicht, daß er einem Irrlicht folgt
und damit immer weiter von seiner Bahn abkommt.

Es mag für Greiner, dem in seiner Jugend —
wie so vielen Künstlern — die Misere des Lebens
nicht erspart geblieben ist, etwas Verlockendes ge-
habt haben, sich zu ergehen in einer höheren An-
schauungswelt, die uns über die Beschwerden des
täglichen Lebens hinaushebt in eine Region, in der
ein herrlicheres Menschentum ein Dasein führt in
Reinheit, Wahrheit und Schönheit. Der Künstler
aber muß vor allem danach trachten, daß er früh-
zeitig den Kreis seiner Fähigkeiten erkennen lernt.
Er muß erfassen, daß das Primäre in seiner Kunst
das Professionelle, nicht das Ideelle ist und darf
niemals seine zeichnerischen und malerischen
Fähigkeiten in den Dienst seiner Sehnsüchte stel-
len; er darf niemals zum „Illustrator" literarischer
Neigungen werden. — Es ist ein großer Irrtum,
ja eine Fälschung, wenn immer wieder behauptet
wird, Greiner sei ein Max Klinger verwandter
Geist gewesen, und darum sei es ganz natürlich,
wenn der jüngere sich dem älteren, erfahreneren
angeschlossen hätte. Das ist in diesem Falle ganz
unhaltbar, und man erweist Greiner wirklich kei-
nen guten Dienst, wenn man diese Selbsttäuschung
nicht unwidersprochen läßt. Otto Greiner, der
Volksschüler, der Naturalist, hat die Geisteswelt,
in die er sich so unvorsichtig und unwiderruflich
begeben, nie erfühlt und nie begriffen. Und deshalb
lassen uns auch alle diese Arbeiten bei aller Be-
wunderung für die zeichnerischen Fähigkeiten des
Künstlers und ihren technischen Schönheiten kalt.
Man fühlt aus jeder Arbeit das gewaltsame und
äußerliche Verhältnis des Künstlers zu seinem

Stoff heraus und ist verwundert, daß Greiner bei
seiner sonstigen strengen Ehrlichkeit und Wahr-
heitsliebe nicht den Weg zurückgefunden hat. Er
glaubte offenbar steif und fest an diese Wahlver-
wandtschaft. So ist er auf eine besondere Weise
auch ein Opfer des „Klassizismus" geworden.

Greiner ist nicht das erste Opfer und er wird
nicht das letzte Opfer dieses verhängnisvollen
Dualismus sein, der sich wie ein roter Faden durch
die Geschichte der deutschen Malerei zieht. Wenn
Greiner eines Führers bedurft hätte, dann wäre
es meines Erachtens Rembrandt gewesen. Nach
dieser Richtung lagen die Entwicklungsmöglich-
keiten für seine Begabung und, unter diesem Ge-
sichtswinkel seine Jugendarbeiten betrachtet, läßt
ahnen, was aus seinen Händen hätte hervorgehen
können. Nicht Italien, nicht das Land der Grie-
chen war der Boden, wo er Wurzeln schlagen
konnte, sondern die Wirklichkeit. Er war ein
Apfelbaum und wollte Orangen tragen. Er glaubte,
durch den Einfluß Klingers berufen zu sein, die
Schönheit zu verkünden, und doch war er dazu
bestimmt, das Charakteristische darzustellen. Des-
wegen sagte ich, daß sein Weg über Rembrandt
und Menzel führt.

Das ist das Prinzipielle über Greiners Kunst,
mit dem man sich erst auseinandersetzen muß, um
zu dem wirklichen Greiner zu kommen. Seine
Arbeiten aus dem Gebiete der Gedankenkunst sind
phantasielos, deshalb fehlt ihnen allen die starke
Konzeption, der alles Detail untergeordnet ist.
Statt dessen haben wir den Eindruck, daß alle
diese Kompositionen mühsam zusammengebaut
sind. Die Einzelstudien zu diesen Kompositionen
sind, was richtiges, optisches Sehen, anatomische
Kenntnisse und was die Delikatesse der techni-
schen Ausführung anbelangt, über jedes Lob er-
haben. Daran scheint das ganze Herz des Künst-
lers zu hängen, offenbar weil ihn die Hauptsache,
die Konzeption seines Bildes, nicht im Innersten
gepackt hat. Und deshalb bringt er es auch fertig,
diese Naturstudien, ohne auch nur ein Tüpfelchen
der sauberen Darstellung zu opfern, so, wie sie
sind, in seine Kompositionen zu übertragen und
dies meistenteils mit einem ungeheueren technischen
Aufwand, der zur Sache in keinem Verhältnis
steht. Damit wird — neben dem strengen, der
Komposition fremden Realismus — etwas in die
Werke getragen, das sie auseinandertreibt. Nicht
selten könnte es scheinen, als ob ihm die Technik
die Kunst ist, während doch die Technik nur Mittel
sein soll. Wie ganz anders dies bei Klinger! Jedes
neue Blatt Greiners war infolgedessen ein techni-
sches Ereignis, kein künstlerisches im reinen Sinne
des Wortes. Die Sammler reagierten darauf ganz
merkwürdig und so kam es, daß Greiner in die-
sen Kreisen eine Schätzung genoß, die selbst die
Klingers oftmals weit übertraf.

Reinsten Genuß haben wir vor seinen Porträt-
studien und Bildnissen, die der Künstler zumeist
auf Stein gezeichnet hat. Hier ist eine volle und
hohe Einheit erzielt, und hier leuchten seine Fähig-
keiten in urwüchsiger Stärke. Hier hat er gege-
ben, was seinem innersten Wesen entsprang, hier
ist Greiner immer auf sein ureigenstes Gebiet, auf
den Naturalismus, gestellt, der sich mit seiner an-
geborenen Begabung völlig deckt. Und diese Bild-
nisse (Cosima Wagner, Siegfried Wagner, Pichler,
mein Zeichenlehrer, Civetta u. v. a.), in dieser tech-
nischen Vollkommenheit wiedergegeben, gehören
zum Schönsten, was wir auf diesem Gebiet be-
sitzen. Rich. Grimm-Sachsenberg

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