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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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Liebermann, Max: Zwei Original-Holzschnitte von Manet
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https://doi.org/10.11588/diglit.4389#0153
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ZWEI ORIGINAL-HOLZSCHNITTE VON MANET

VON

MAX LIEBERMANN

......einen erläuternden Text zu den wunder-
schönen Reproduktionen nach Manet? Cui bono?
Wer Manet versteht — und ihn daher liebt —
braucht keine Erläuterungen, und wer ihn nicht
versteht, noch viel weniger.

Auch Holzstöcke scheinen ihr Schicksal zu
haben. Während der Holzschnitt der Olympia erst
wieder durch Duret ans Tageslicht gezogen wurde,
ist das Porträt der Dame, die den Kopf auf die
Hand stützt, verschwunden gewesen: ebenso wie die
Olympia hatte Manet das Porträt für ein Journal
gezeichnet, das vor der Veröffentlichung der Zeich-
nung einging. Der Holzstock ist verloren gegangen
und nur ein Probedruck hatte sich erhalten und
nach ihm hat derselbe Xylograph, der seiner Zeit
Manets Zeichnung geschnitten, einen zweiten Holz-
stock hergestellt. Beide Holzschnitte sind im
Original wiedergegeben: wir haben also Manets
Handschrift vor uns. —

Wenn ich früher einmal Zeichnen als die Kunst
wegzulassen, definiert habe, so könnte ich keine
besseren Beispiele für diese Definition auswählen,
als die vorliegenden beiden Holzschnitte.

Alle Kunst ist Form und alle Form: Verein-
fachung.

Wie die tausend Formen und Flächen des
Gegenstandes, den der Künstler darstellen will,
sich in seinem Kopfe zu wenigen, charakterischen
vereinfachen, während seineHandsieniederschreibt:
das bildet den Zeugungsprozess eines jeden

Kunstwerkes. Weder der Kopf allein, noch die
Hand ohne Kopf können ein Kunstwerk hervor-
bringen; beides ist, wie die Seele mit dem Körper,
verbunden. Der Kopf ist der Vater, die Hand die
Mutter und nur die aus dieser Ehe hervorgegangenen
Kinder sind legitim d. h. echte Kunstwerke.

Aber in den bildenden Künsten sind Inhalt und
Form nicht nur, wie in den andern Künsten, un-
trennbar, sie sind auch in der philosophischen Be-
deutung des Wortes identisch: ihr Inhalt ist die
Form.

Natürlich können Malerei, Plastik oder
Architektur — die man sogar gefrorene Musik
genannt hat — poetische oder musikalische Gefühle
in uns hervorrufen, aber sie dürfen sie nur durch
die einer jeden der bildenden Künste eignen Aus-
drucksmittel hervorrufen wollen. Sonst macht der
Maler oder Bildhauer bei der Poesie oder Musik
Anleihen, die er mit den rechtmässigen Mitteln
seiner Kunst nicht bezahlen kann.

Manet ist „Nur-Maler". Er malt ebensowenig
Poesie wie Musik, worüber die sogenannten
Gebildeten aller Nationen quittierten, indem sie ihn
gleichermassen verabscheuten, und wohl immer noch
verabscheuen, wenn sie sich jetzt auch schämen, es
einzugestehn.

Manet so recht verstehn kann wohl nur der
Maler, und auch nur der, welcher in der Wieder-
gabe der Natur das A und O der Malerei sieht;
was freilich der moderne Maljüngling, und noch

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