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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 4
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Walser, Robert: Berlin und der Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0207

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KAM. WALSER, ENTWURF ZU EINER THEATKRDBK0RAT10N

BERLIN UND DER KÜNSTLER

VON

ROBERT WALSER

nderswo, in der stillen Provinz,
sieht sich der Künstler leicht
von Melancholien umgeben.
Verloren in Gedanken, sitzt
er am einsamen Fenster, in der
mittelalterlichen Stube, um-
flossen von seltsamem Zwie-
licht, und träumt unthätig in die schwungvolle
Landschaft hinaus. Es kommt niemand. Er wird
durch nichts gestört. Es herrscht eine unaus-
sprechliche Stille in der Umgebung. In der Haupt-
stadt dagegen sind immer Störungen vorrätig,
gleich einem lebendigen Warenlager von Auf-
munterungen, und das ist für unsern Mann
natürlich nur wohlthuend. Künstlerseelen müssen
immer wieder ein wenig aus dem Zauberbann, in
dem sie gefesselt liegen, aufgeweckt werden. Es

lebt in fast Jedem, jedenfalls im echten Künstler,
ein Märchenreich. In Märchenländern aber schlum-
mert man. Man ist da nicht thätig. Ist nicht die
heutige deutsche Provinz wie ein träumendes,
schlummerndes Märchen? Zum Beispiel Magdeburg.
Hat Magdeburg ein selbstbewusst-eigenwilliges
geistiges Leben? So so, la la. Das ist es.

Wie ist da Berlin toll. Eine Stadt wie Berlin
ist ein ungezogener, frecher, intelligenter Bengel,
bejahend, was ihm sopasst und wegwerfend, wessen
er überdrüssig geworden ist. Hier in der Gross-
stadt spürt man es ordentlich, dass es Geisteswellen
giebt, hinwegströmend, gleich einem Bad, über das
gesellige Leben. Ein Künstler ist hier gezwungen
aufzuhorchen. Anderswo darf er, die Ohren ver-
stopft, in die Ignoranz versinken. Hier darf er
das nicht. Er muss sich vielmehr beständig mensch-

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