EIN BRIEF
VON
ALFRED LI CHT WAR K
ch bin kein unbefangener Beurteiler von Max Lieber-
manns jüngstem Selbstbildnis, über das Sie meine Ansicht
hören wollen; denn das Bild ist für die Kunsthalle bestimmt,
und ich habe von der ersten Anlage an seine Entfaltung
beobachtet. Es ist mir von Anfang an als das in Bildform
und Ausdruck mächtigste aller Selbstbildnisse Liebermanns
erschienen, als das endgültige, würde ich sagen, wenn nicht
Liebermann einem Abschluss noch sehr fern stände. Aber
man darf es wohl, ohne sehr grosse Gefahr, von der nächsten
Entwicklung Lügen gestraft zu werden, als sein endgültiges
Selbstbildnis dieses jetzigen Lebensabschnittes ansprechen, als
die Summe aus der Bildnisarbeit der beiden letzten Jahrzehnte,
ja vielleicht der Lebensarbeit des Meisters.
I ^ ^^*^~~j—~1f -j\ Es gehört zu den wenigen Bildnissen, vor denen auch der
1 ■ --.■""-*" gänzlich Unaufmerksame zur Erkenntnis kommen könnte, dass
die deutsche Kunst im Ringen um eine neue Form der eine Zeitlang fast aufgegebenen Bildniskunst be-
griffen ist. Dies Selbstbildnis erinnert nicht an Kunst, die es schon gegeben hat. Kein Schatten aus einer
nahen oder fernen Vergangenheit fällt* darüber. Wer davor steht, hat es sofort nur mit diesem einen
Werk zu thun. Diese Handschrift, die alles nicht Unumgängliche weglässt, aber das Notwendige
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VON
ALFRED LI CHT WAR K
ch bin kein unbefangener Beurteiler von Max Lieber-
manns jüngstem Selbstbildnis, über das Sie meine Ansicht
hören wollen; denn das Bild ist für die Kunsthalle bestimmt,
und ich habe von der ersten Anlage an seine Entfaltung
beobachtet. Es ist mir von Anfang an als das in Bildform
und Ausdruck mächtigste aller Selbstbildnisse Liebermanns
erschienen, als das endgültige, würde ich sagen, wenn nicht
Liebermann einem Abschluss noch sehr fern stände. Aber
man darf es wohl, ohne sehr grosse Gefahr, von der nächsten
Entwicklung Lügen gestraft zu werden, als sein endgültiges
Selbstbildnis dieses jetzigen Lebensabschnittes ansprechen, als
die Summe aus der Bildnisarbeit der beiden letzten Jahrzehnte,
ja vielleicht der Lebensarbeit des Meisters.
I ^ ^^*^~~j—~1f -j\ Es gehört zu den wenigen Bildnissen, vor denen auch der
1 ■ --.■""-*" gänzlich Unaufmerksame zur Erkenntnis kommen könnte, dass
die deutsche Kunst im Ringen um eine neue Form der eine Zeitlang fast aufgegebenen Bildniskunst be-
griffen ist. Dies Selbstbildnis erinnert nicht an Kunst, die es schon gegeben hat. Kein Schatten aus einer
nahen oder fernen Vergangenheit fällt* darüber. Wer davor steht, hat es sofort nur mit diesem einen
Werk zu thun. Diese Handschrift, die alles nicht Unumgängliche weglässt, aber das Notwendige
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