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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 3
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Hitz, Dora: Poiret
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0157

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POIRET

VON

DORA HITZ

[in Vorhang teilt sich. Die Blicke vieler Men-
! sehen wenden sich. Monsieur Poiret ist Maler
und es gefällt ihm plötzlich, seine Träume von Farbe
und Linie am lebenden Material zu gestalten, zu
verwirklichen. Wir bewundern wie das, was sonst
ein Modeereignis sein würde, durch ihn eine künst-
lerische Begebenheit wird. Ein Vorhang teilt sich
und die Blicke vieler Menschen wenden sich auf
etwas, das fremdartig rhythmisch sich daherbewegt.
Eine blonde Frauengestalt, ein phantastisches Kunst-
werk. Und man begreift die lautlose Stille trotz
der Gegenwart so vieler Damen und Herren, wie
bei einer Symphonie. Es ist wirklich eine Sym-
phonie, die wir erblicken, anstatt sie zu hören.
Langsam schreiten sie dahin
diese Gebilde der Phantasie
eines Künstlers, denn der
ersten folgt bald die zweite,
die dritte und noch einige
bis in gleichen Abständen
ein Wandeln dieser mär-
chenhaften Erscheinungen
beginnt. Aus dem Orient,
aus Indien, aus persischen
Aquarellen scheinen diese
Gestalten zur Bewegung
unter uns erweckt zu sein.
Ich sage absichtlich nicht:
zum Leben, denn in Wahr-
heit macht es den Eindruck,
dass der Künstler dem Werke
seiner Idee, nachdem es voll-
endet, soweitOdem einblies,
dass es sich nach seinem
Wunsch dahinbewegt. Das
ganze Gebilde in Farbe und
Linie, ich bin versucht zu

Anm. der Red.: Die Vorfüh-
rung der neuen Kleider Poirets,
woran Dora Hitz mit ihren Be-
trachtungen anknüpft, fand vor
kurzem, wie im Vorjahre, bei Her-
mann Gerson statt. Wir verdanken
dieser Firma die Genehmigung zur
Reproduktion einiger der freien
Lithographien G. Lepapesnach Ein-
drücken aus Poirets Atelier.

sagen: die ganze Architektonik der Erscheinung ist
der vollkommene Ausdruck, ist das Werk eines
Künstlers. Alles ist da an seinem Platz, aus unge-
heuer kultiviertem Empfinden, ziseliertes Wollen
aus allen Einflüssen, die die Erde bietet, mit dem
feinsten Farbensinn und einem sicheren Geschmack
gestaltet. Gestaltet aus dem angebornen for-
malen Empfinden der lateinischen Rasse, zu dem die
Farbe nicht nur als Farbe, sondern als Koloristik
kommt, als Zusammenklang oder Gegensätzlichkeit.
Jede Gestalt ein Typus: Salome, Kleopatra, Semira-
mis und die reizende kleine Tänzerin, wie eine eben
erblühte Lotosblume. Diese Frauengestalten, die
alle mehr oder weniger dem jonisch-attischen Typus

gleichen, mit ausladenden
Schultern und schlanken
Hüften (der Typus der Am-
phore ist auf alle Fälle ver-
mieden), prägen sich uns
ein wie Kunstwerke. Und
das scheint mir der Grund,
warum Herr Scheffler mich
bat, meinen Eindruck in
„Kunst und Künstler" zu
sagen. Diese Gestalten sind
formal und koloristisch, wie
wir sie zu sehen bekommen,
von einem Künstler gewollt,
durchdacht und geschaffen.
Die Benützung des Men-
schenmaterials, ich kann es
nicht anders ausdrücken, ist
so sehr Auswahl zur Ver-
wirklichung seiner Idee, dass
das Resultat nicht in zwei
Teile zerfällt, nämlich in
Kleid und Mensch, sondern
eine Einheit für unser Auge
bildet, dass wir es als etwas
Selbstverständliches hinneh-
men. Ich habe oft gehört,
dass die berühmten Schnei-
derin Paris den Titel Künst-
ler in Anspruch nehmen

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