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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 9
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0490

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CHRONIK

Der Berliner Bürgermeister Reicke hat beim Fest-
mahl der Großen Berliner Kunstausstellung die
Berliner Sezession angegriffen. Ohrenzeugen sagen aus,
er habe die Ausstellung am Kurfürstendamm als Ganzes
gemeint. Er könne authentisch darüber sprechen, da er
eben aus der Sezession komme. Er müsse Künstler wie
Kolbe, Hübner, Mosson und Slevogt ablehnen. (Slevogt
hat, nebenbei bemerkt, gar nicht ausgestellt.) In einem
später veröffentlichten, diese Rede interpretierenden
Brief hat er dann gethan, als hätte er sich nur gegen
die „französischen Importen" gewendet. Doch hat er
in diesem Brief hinzugefügt, ein „sensationslüsterner
Geschäftsgeist" hätte uns diese Bilder hergeführt.
Leider ist dieser Heilige Georg nicht ein Privatmann,
sondern Bürgermeister von Berlin. Er hat also offiziell
gesprochen. Er hat geschrieben, er sei von den ver-
fassungsmäßigen Organen auf seinen Posten gestellt
worden, um zu gegebener Zeit öffentlich Stellung
zu nehmen. Seine Tischrede ist ein politischer Akt.
Darum mußte die Sezession die Angriffe öffentlich zu-
rückweisen, wie sie es in guter Manier gethan hat und
darum muß auch hier von der Angelegenheit gesprochen
werden.

Es war nicht nur geschmacklos als Gast der Leute
von der Großen Berliner Kunstausstellung die in einem
grundsätzlichen Gegensatze zu ihnen stehenden Sezes-
sionskünstler zu verkleinern, sondern es war auch illoyal.
Konnte der Bürgermeister sein übervolles Herz nicht
wahren, so musste er den Sezessionisten seine Meinung
bei deren Festessen ins Gesicht sagen. Er hat aber auch
grundsätzlich nicht das Mandat. Er wird von der Stadt
besoldet, damit er seine Verwaltungsgeschäfte gut er-
ledigt, nicht damit er ein Magister aller Deutschen sei.
Wäre er eine starke schöpferische Persönlichkeit, die
Wertvolles zu sagen weiß und das Recht hat sich aus
eigenen Gnaden ein Mandat zu erteilen, so würde
man trotzdem die Taktlosigkeit verzeihen. Nicht ein-
mal die einzige That grösseren Stils aber, die Reicke
versucht hat — die Gewinnung des Tempelhofer Feldes
für Berlin — vermochte er durchzuführen, obwohl
jeder tüchtige Kaufmann reüssiert hätte. Zudem zwingt
er den Kunstfreund, zu sagen: charity begins at home.
Ist er um das Ansehen der deutschen Kunst so besorgt,
so sollte er, bevor er Slevogt „ablehnt" und die un-

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eigennützigste und produktivste Künstlervereinigung,
die wir haben, unlauterer Motive zeiht, verhindern,
dass Frau Sabine Reicke in derselben Ausstellung, wo
die Rede geschwungen wurde, mit aufdringlichem
Frauendilettantismus ein Bild ausstellt, das wie eine
grell kolorierte Momentphotographie wirkt und das nur
irrtümlich nicht in die Plakatausstellung gekommen ist
(etwa mit dem Text: Prinz Heinrich Baude, Treffpunkt

der vornehmen Welt!) Und er sollte verhindern, dass
die malende Bürgermeisterin dieses stolze Machwerk
an den Katalogtischen als bunte Ansichtspostkarte ver-
kaufen lässt, weil doch sonst leicht das Wort vom „sen-
sationslüsternen Geschäftsgeist" unangenehm variiert
werden könnte.

Allgemeiner gesprochen: die Vertreter der Kom-
mune Berlin hätten alle Ursache beschämt zu schweigen,
wenn von Kunstpflege die Rede ist. Wie will dieser
entrüstete Bürgermeister es, zum Beispiel, rechtfertigen,
dass Berlin noch immer nicht ein würdiges städtisches
Museum für gute alte berlinische und gute moderne
Kunst besitzt, trotzdem Hugo von Tschudi in Person
eines Tages als Organisator eines solchen Instituts zu
haben war, — dass im neuen Stadthaussaal der Bild-
hauer Gaul wieder übergangen ist, als es galt den Wap-
penbären zu modellieren — dass bei der Erteilung der
vielen Aufträge für dekorative Plastiken die tüchtigen
Berliner Künstler auf Kosten mittelmässiger Münchener
übergangen werden, dass weder Slevogt, noch Corinth
noch Hodler jemals Wandbilder für die Stadt gemalt
haben — dass Liebermann, dem doch Adickes in Frank-
furt, Petersen und Burchardt in Hamburg, Tramm in
Hannover gesessen haben, in Berlin noch keinen Stadt-
vertreter offiziell gemalt hat, — dass bei der Aus-
schmückung von Schulen der Wettbewerb den Mit-
gliedern des Vereins Berliner Künstler nur ausge-
liefert wird — dass ein Verein „für Gross-Berlin" die
Grossstadtreformen freiwillig zu übernehmen sich ge-
drängt fühlt, die die Bürgermeister anzubahnen hätten,
ja, dass diese Bürgermeister die freiwillige Hilfe dann
noch indigniert von sich weisen — dass nicht allein die
Museumsverhältnisse der Stadt, sondern auch die Kunst-
schulverhältnisse erbärmlich sind, während auf der an-
dern Seite an der Sensationierung der Zoologischen
Gärten seitens der Stadt rührig mitgearbeitet wird (der
Fall Hagenbeck) — dass, alles in allem, die Kunstpflege
der Reichshauptstadt hinter der des Staates sogar weit,
beschämend weit zurücksteht.

Ein ungeheures Arbeitsgebiet harrt der schöpferi-
schen Thätigkeit männlich kühner Bürgermeister. Georg
Reicke sieht die Aufgaben nicht einmal. Er hat neu-
lich einen langen Essai über die Grossstadt veröffent-
licht, worin auch nicht ein Wort verriet, dass er die
Grossstadt, die Zeit und sein Amt begriffen hat. Er
meint, er sei von den verfassungsmässigen Organen auf
seinen Posten gestellt worden, um mit Goethege-
bärden, im Namen von Hunderttausenden, in weithin-
wirkenden Tischreden gegen Picasso zu protestieren!

.•SA

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