Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

DOI Heft:
Heft 11
DOI Artikel:
Elias, Julius: Die Grosse Berliner Kunstausstellung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0586

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE GROSSE BERLINER KUNSTAUSSTELLUNG

VON

JULIUS ELIAS

lern, die ehedem gelassener dem Glaspalast als Ich habe, weiss Gott, Max Schlichting und die An-

, der Sezession dienten, inzwischen sich aber dem empfindelei seiner Kunst nie geliebt; - aber als Oigam-
_£—S Gesetz der Wandlung unterwarfen, stellen mit sator, finde ich, hat er seine Sache nicht schlecht gemacht.
kategorischem Unwillen fest: die heurige Ausstellung in Einem immerhin bemerkenswerten Gesamtergebnis
Moabit sei noch schlechter als die vorjährige, - sie sei gegenüber soll man ihm auch seinen höchst über-
die schlechteste von allen. Andererseits ziehen die flüssigen Saal von Städtebildern, die (bis auf M. Ancher,
leitenden Manner und ihre freiwilligen Mitläufer da Gaston La Touche, Le Sidaner und Isaak Israels) ganz
draussen gegen die Sezession vom Leder; sie begehen mittelmässige Sammlung fremder Malerei und die ple-
das Thörichste, was die Befangenheit begehen kann: sie bejische Plakatausstellung nichtweiter aufmutzen. Selbst
spielen Kunstfragen aufs Moralgebiet hinüber. Und das die abschreckende Mache des Gari Melchers nicht, dem

seit [ooo nun zum zweiten Mal ein riesiger Raum über-
lassen wurde, ohne dass auch nur der Schatten eines
Grundes vorlüge.

Melchers, das ist die spielerische Virtuosität, das
kalte Herz, die zweifelhafte Handfertigkeit, das ist die
bestechend studierte, doch vergewaltigte Natur; Mel-
chers, das ist das im tiefsten Grunde Unmalerische, die
schillernde Lüge. Im allgemeinen aber ist Schlichting
(wie vor ihm bis zu einem gewissen Grade Otto Hein-
rich Engel), dem alten Sezessionsmaassstab nicht untreu
geworden: er hat nach malerischen Gesichtspunkten
ausgewählt und gruppiert. Den traditionellen Haupt-
schaden des Betriebs, das Markt- und Basarmässige, das
sozusagen eine soziale Notwendigkeit geworden ist,
konnte er freilich nicht ausrotten; aber die öde Hand-

in einem Augenblick, da Herr Max Schlichting, ein ent-
laufener Sezessionist, der noch heut alle Anregungen
aus Frankreich bezieht, verantwortlich fürs Ganze zeich-
net. Das ist kein Schauspiel, das ist eine Posse. Als
alter Sezessionsphilologe und Glaspalastspezialist, fühle
ich mich wirklich versucht, diese Herren einmal gegen
sich selbst zu verteidigen, da sie, naiven Herzens, nicht
wissen, was sie thun, und doch alle miteinander im
Glashaus sitzen.

Die Ausstellung 1912 ist nicht schlechter, als ihre
Vorgängerinnen, im Gegenteil: sie ist um mehrere
Grade besser. Langsam, ganz langsam, hebt sich die
Qualität; doch auch der bescheidenste Schritt zur Besse-
rung wird unmittelbar der Wirksamkeit der Sezession
verdankt. Es sind genau zehn Jahre her, da traten

sechzehn, untereinander sehr verschieden zu bewertende werkerei ist nicht Prinzip mehr, sondern gedämpfte und
Herren aus der „Sezession" aus; die ausgebrochenen zurückgedrängte Begleiterscheinung. Das Anekdoten-
Rebellen wurden von den offiziellen Kunstmächten mit hafte macht sich eigentlich nur in der Plastik breit; in
offenen Armen empfangen, denn man hatte ihrer derMalerei brach ein jüngeres Geschlechtherein,dasdem
Schwachherzigkeit gegenüber allen Anlass sie für reuige vorwiegend Erzählerischen abhold ist oder doch den kolo-
und bekehrte Sünder zu halten. Um sie nicht plötzlich ristischen Gedanken in den Vordergrund stellt. Mancher
vom Alkohol des Sezessionismus zu entwöhnen, liess alte Herr hat langsam umgelernt, wie der Landschafter
man ihnen zunächst die liebe Gewohnheit der Abson- Julius Jacob; andere wieder (z. B. Kallmorgen und
derei, indem man ihnen eigene Säle mit eigener Jury Schönleber) bringen Werke früherer besserer Tage,

da sie noch höhere Ehrfurcht vor der Natur hatten und

zugestand. Aber schon im nächsten Jahre traten die
verlorenen Söhne unters Volk. Und siehe da, die Se-
zession blieb so stark in ihnen, dass sie nicht Amboss,
sondern Hammer wurden. Damals formulierte sich das
Urteil in die Frage: wie kann ein Künstler, der die
Richtung seiner Kunst hochhält, einem Kreise untreu

noch vom Akademismus nicht völlig aufs Haupt geschlagen
waren. Berliner Respektspersonen wie Hugo Vogel
und Hans Hermann spielen ihre kühle Mittlerrolle
weiter; immerhin geben sie sich einen sichtbaren Ruck:
derPorträtist imBemühen um denRhythmus desMensch-

werden, wo er mit seinen besten Instinkten wurzelte, liehen, der Hollandschilderer im energischeren Kampf

und wo ihm der unabhängige Fortschritt verbürgt war? um Atmosphäre und Licht. Unerfreulich nur wirkt

Einzig aus Gründen des Ehrgeizes untreu werden? Heut der krampfhafte Suchersinn Fritz Burgers, des einge-

kann man den Fall anders ansehen und sagen: wie pro- wanderten Schweizers, der da glaubt, er könne sich eine

duktiv muss die Sezession sein, um anderen Ausstellung«;- Individualität zulegen, indem er Hodler nachahmt.

Organisationen ein ganzes Rinascimento verschaffen, um An sich ist gegen die Versuchsarbeit nichts einzu-

lahmgelegte Betriebe so aktiv aufmuntern, um trister wenden; am wenigsten bei Begabungen der mittleren

Eintönigkeit so lebhafte Pointen aufsetzen zu können! Linie, wie sie sich im Glaspalast zusammenfinden Die

Die sechzehn Ausreisser von 1002 sind im Bestand des Auffrischung künstlerischer Stile wird nur im Labora-

Moabiter Glaspalastes ein vortrefflicher Sauerteig ge- torium gewonnen. Vor Jahr und Tag schon hat man

geworden. Zehn Jahr sind eine lange Zeit, und da ist dem grundehrlichen Otto Heinrich Engel geraten, für

seine Farbe etwas zu thun. Er hat nunmehr Lieber-

Itl

,*»

wohl eine Bilanz erlaubt.

SÖ8

%
 
Annotationen