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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 1
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Behrendt, Walter Curt: Hans Poelzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0070
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HANS POELZ1G, GESCHÄFTSHAUS IN BRESLAU

HANS POELZIG

VON

WALTER CURT BEHRENDT

Die gegenwärtige Lage der deutschen Baukunst
lässt sich mit einigem Recht jenem unfrucht-
baren Zustand der deutschen Malerei vor etwa hun-
dert Jahren vergleichen, von der Goethe angemerkt
hat, es zeige sich in ihr mehr Wollen als Geist und
alle Naivität und Sinnlichkeit sei gänzlich daraus
entschwunden. So wie alles jetzt steht, meinte er,
sei wenig zu erwarten. „Es muss ein grosses Talent
kommen, welches sich alles Gute der Zeit sogleich
aneignet und dadurch alles übertrifft. Die Mittel
sind alle da und die Wege gezeigt und gebahnt."
In der That ist in der deutschen Architektur
der Gegenwart eine ausserordentliche Fülle von Ge-
sinnungstüchtigkeit und ein lebendiger Wille zum
Guten angehäuft, und man wird übereinstimmend
beobachten können, dass über die künstlerischen
Probleme der Berufsarbeit allenthalben hinlängliche
Klarheit herrscht. Die Theorie des Entwerfens ist

sogar schon zu handlichem Gebrauch in leichtfass-
liche Lehrsätze gebracht und die Binsenwahrheit
von der anzustrebenden Simplizität der Erscheinungs-
form als Grundbegriff des Projektierens gehört heute
bereits jedem neugebackenen Baueleven zu eigen.
In der Praxis aber ist diese Kunst nirgends doch
über ein mittleres Niveau schon hinausgelangt, und
sieht man sich gar nach überragenden Leistungen
oder nach originalen Talenten um, so ist man um
Ort und Namen sehr bald schon verlegen. Es fehlt
der deutschen Baukunst heute fast ganz an starken,
selbständigen Persönlichkeiten, die, um einen Aus-
spruch Schinkels zu gebrauchen, mit der Unschuld
in der Auffassung die Energie des Sehens und mit
moralischem Sinn ein kräftiges Darstellungsver-
mögen verbinden und die, kraft solcher bedeuten-
den Eigenschaften, zu Führern und Lehrern des
jungen Nachwuchses berufen sein könnten.

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