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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 1
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Tessenow, Heinrich: Die technische Form
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Tessenow, Heinrich: Das Ornament
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0044
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es einigermassen dumm ist, überall so zu fragen;
aber wir suchen nach dem Zuerst- oder nach dem
Einfach-Notwendigen, und so sind wir formen-
feindlich und so stehen wir mit der Technik oder
auch mit der Maschine weitgehend im gleichen
Wollen; es ist durchaus nicht die technische oder
die maschinenmässige Form selbst, die wir lieben;
wenn es auch eine Menge eigentlich nackte tech-
nische Formen gibt, die uns als solche unmittelbar
sehr zu Herzen gehen, etwa die Form einer Segel-
jacht, eines Fahrrades und dergleichen, so schätzen
wir die einfach technische Form doch ganz über-
wiegend der wirtschaftlichen Werte wegen, die sie
uns bildet; zum Beispiel wir können die technische
Form schon sehr hochschätzen und werden doch
nicht die Wasserleitungsrohre auf unseren Zimmer-
wänden sichtbar haben wollen und so tausendfach;
oder wenn uns die Form der Dynamomaschine
auch nicht ganz gleichgültig ist, so sagt das ohne
weiteres noch nicht viel; denn schliesslich ist uns
überhaupt nichts ganz gleichgültig. Wir schätzen
heute an dem technischen oder maschinenmässigen
Arbeiten hervorragend das Suchen nach der knap-
pen Form und Ähnlichem, oder wir schätzen an
der maschinenmässigen Form hervorragend die
Wiederkehr; denn es ist uns heute eine grösste und
wichtigste Aufgabe, dass wir uns orientieren. Wenn
wir immer wieder Bekanntes oder wenn wir nur
wenig sehen, so ist unsere Orientierung zwar nur
grob; aber es handelt sich hier um etwas Ernstes,
und das gewerbliche Arbeiten leidet unter nichts so

sehr als unter der Furcht vor sozusagen fundamen-
talen Grobheiten, seine Feinheiten sind immer grob
fundiert, etwa wie der feine Kirchturm durch rohe
Findlinge oder wie die mittelalterliche feine Stein-
metzarbeit durch einfach werkmässiges Wissen oder
wie überhaupt die feinen und reifen mittelalter-
lichen Handwerkerarbeiten durch eine harte Gesell-
schaftsordnung usw. Bei uns ist die Hochschätzung
des einfach schulmässigen Wissens eine funda-
mentale Grobheit, die stark helfen wird, dass unser
gewerbliches Arbeiten Bestes fruchtet, und ebenso
wird das auch unsere Hochschätzung des einfach
technisch-mechanischen Arbeitens thun.

Die einfach technische Form ist im allgemeinen
nur sehr wenig liebenswürdig, und so werden wir
mehr oder weniger auch immer suchen, dass wir
ihr aus dem Wege gehen; aber wir werden sie
immer, und ganz besonders heute, hochschätzen
müssen. Die Hochschätzung der technischen Form
wird uns besonders viel helfen, dass wir in unserm
gewerblichen Arbeiten festen Halt bekommen;
aber die technische Form hat — auch sozusagen
ganz alltäglich gedacht — oder rein gewerblich
nichts Zielmässiges; denn in ihr ist das Ver-
standliche durchaus überwiegend; sie hat nicht,
wie es bei der besten gewerblichen Arbeit ist,
ganz die fünfzig Prozent Dummheit, glaubt zu
viel an das, was wir wissen oder zu wenig an
das, was wir nicht wissen können, sondern
empfinden, oder glaubt zu wenig an die Form als
solche.

DAS ORNAMENT

VON

HEINRICH TESSENOW

Das Ornament oder das Ornamentale ist über-
all; aber es ist um so besser, je weniger wir
es wollen oder ist uns um so freundlicher, je gleich-
gültiger wir es behandeln; es ist in unserem Ar-
beiten etwa das gleiche, was in unserem Sprechen
die Redensarten sind; sie sind unvermeidlich, wer-
den durch unser Zusammenleben ganz notwendig
herausgebildet, aber wir dürfen sie nicht wichtig
nehmen, oder ihr Witz geht in die Brüche.

Wir werden das Ornament notwendig um so
mehr bilden, je mehr wir die Voraussetzungen er-

füllen, die ein bestes gemeinschaftliches Leben oder
ein bestes gewerbliches Arbeiten fordert, zum Bei-
spiel wenn wir in der Ordnung, im einfachen Fleiss,
in der Hochschätzung eines Einfach-Notwendigen
usw. eine Ziegelsteinmauer ausführen, so zeigt diese
dann notwendig stark das Ornamentale; aber wir
haben es dort gebildet, ohne dass wir es bilden
wollten. Sozusagen: das Ornament überstrahlt im
besten Fall ein männliches Arbeiten mit einem un-
willkürlichen halben Lachen.

Das Ornament äussert auf unserem Lebens-und

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