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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 8
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Scheffler, Karl: Corinths Zeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0391
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CORINTHS ZEICHNUNGEN

VON

KARL SCHEFFLER

In diesen Wochen ist ein beschreibender Katalog
des graphischen Werkes von Lovis Corinth er-
schienen. (Karl Schwarz hat ihn bearbeitet und bei
Fritz Gurlitt ist er verlegt.) Dieses Verzeichnis
lenkt zur rechten Zeit den Blick auf die Thätig-
keit Corinths als Graphiker; es weist zugleich aber
auf den Zeichner, der mehr als billig hinter den
Maler zurückgetreten ist. Da in diesen Wochen
auch eine Ausstellung von Zeichnungen Corinths
zu sehen ist — ebenfalls bei Fritz Gurlitt —, findet
der Kunstfreund Gelegenheit sich mit der Schwarz-
weisskunst Corinths nach jeder Richtung zu be-
schäftigen.

Der Zeichner — um heute nur von ihm zu
reden — ist neben dem Maler so wenig zu Wort
gekommen, weil der Maler lange Zeit gewaltsam
das Interesse des Publikums zu sich hingezogen hat,
weil den Zeichnungen der stoffliche, der literarische
Anreiz fehlt, der den Bildern immer mehr oder
weniger eigen ist. Es fehlt den Zeichnungen natur-
gemäss das Programmati-
sche, das auf verblüffende
Wirkungen Berechnete,
schon weil sie für die

Öffentlichkeit nicht von ,

vorn herein bestimmt
sind und nicht als abge-
schlossene Kunstwerke
gelten wollen. Daneben
nimmt man in der Zeich-
nung das Erzählende, das
Illustrative, wenn es doch
auftaucht, unbefangener
hin, weil es dort an sei-
nem Platz ist. Da Corinth
ausserdem als Zeichner
in vielen Fällen seine ge-
malten Motive nur wie-
derholt, variiert oder vor-
bereitet hat, da die Motive
dem Betrachter also schon
bekannt und vertraut sind,
so blickt man kaum noch
auf die Stoffe und auf

1

\

LOVIS CORINTH, BILDNISZEICHNUNG, 1876

das Gedankliche, man blickt nur auf die Form, auf
die Handschrift. Und hierdurch kommt man dem
Künstler in einer neuen Weise nahe. Hat der Be-
trachter es vor den Bildern immer auch mit dem
zu thun, was die Phantasie des Künstlers denkt,
was sein Geist will, so hat er es vor den Zeich-
nungen vor allem damit zu thun, wie das Werk-
zeug denkt und wie die Hand will.

Übersieht man eine grössere Anzahl von Zeich-
nungen Corinths, so macht man bald die Bemerkung,
dass er nicht eigentlich zeichnet, was er sieht. Er
gehört nicht zu den Zeichnern, die, von einem
Eindruck betroffen, die Natur in diesem Eindruck
mit Hülfe der Linie, der Valeur oder der Kontrast-
wirkung wiedergeben wollen; er gehört nicht zu
jenen, die „die Kunst aus der Natur herausreissen".
Darum kann er ein Impressionist nicht genannt
werden. Andererseits ist er aber auch nicht einer
jener Künstler, die „inwendig voller Gestalt" sind
und die diese Gestaltenfülle in die ihnen geläufigen

Naturformen kleiden.
Das heisst: er zeichnet
nicht aus dem Kopf, ge-
staltet nicht ideenhaftaus
dem Gedächtnis. Natür-
lich thut er in jeder Zeich-
nung sowohl dieses wie
jenes, weil sich beides
gänzlich ja gar nicht ver-
meiden lässt; aber es ist
nicht entscheidend für
seine Form. Corinth
zeichnet nicht wie Menzel
oder Liebermann, aber
auch nicht wie Max
Klinger, obgleich man-
ches sowohl hier wie
dort hinüberweist. Aus-
schlaggebend ist etwas
anderes. Die ungemeine
Freiheit der besten Zeich-
nungen Corinths ist nicht
so sehr auf eine klassi-
sche Beherrschung der

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