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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 2
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NEUE BÜCHER

BESPROCHEN VON

Julius Meier - Graefe , Entwicklungsge-
schichte der modernen Kunst. Zweite um-
gearbeitete und ergänzte Auflage. Erster und
zweiter Band. München bei R. Piper & Cie.

Der Verfasser hat nur bedingt recht, wenn er
meint, diese zweite Auflage, die nun zwölf Jahre nach
der bei Julius Hofmann erschienenen und längst ver-
griffenen ersten Auflage erscheint, stelle in allen Teilen
eine Verbesserung dar. Hart verurteilt er jenen ersten
Versuch, eine Entwicklungsgeschichte der modernen
Kunst zu geben. Er ruft aus: „Gott verzeih mir das
Buch!" Er sagt im Vorwort: „Der Schreiber ver-
wechselte die Entwicklung der Kunst mit seiner eigenen
Entwicklung;" also meint er doch wohl, das sei in der

GUSTAV DORE, HOLZSCHNITT AUS DEN „CONThS DRÖLATIQUES"

KARL SCHEFFLER

neuen Fassung nicht mehr .der Fall. Allgemach sollte
er aber wissen, dass es ein objektiv gültiges Kunsturteil
— vor allem gegenüber modernen Kunstwerken — gar
nicht giebt, dass in jedem Urteil der Schreiber mehr
sich selbst als die Dinge darstellt oder, wie Meier-
Graefe es ausdrückt, sich mit den Dingen verwechselt.
Es bleibt nach wie vor bei der Feststellung Schillers:
„Du willst Wahres mich lehren? Bemühe dich nicht!
Nicht die Sache will ich durch dich, ich will dich durch
die Sache nur sehn."

Für die Bücher Meier-Graefes gilt dieser Satz mehr
noch als für die anderer Kunstbeurteiler, weil dieser
Schriftsteller der schwankenden Stimmung, der Ein-
gebung des Augenblicks in hohem Maasse unterworfen
ist. Darum hat der Rezensent besonders aufmerksam
zu untersuchen, wie sich der Schreiber der ersten Ent-
wicklungsgeschichte zum Schreiber dieses zweiten ver-
hält. Bei solchem Vergleich zeigt es sich, dass die
neue Arbeit gewonnen, aber auch verloren hat. Ge-
wonnen hat sie nach der Seite der Vollständigkeit,
denn in der ersten Auflage fehlten wichtige Künstler.
Menzel zum Beispiel, auch Corot und Courbet. Da-
gegen ist die Einteilung des Stoffes weniger straff als
in dem ersten Buch. Es ist ja sehr schwierig die un-
geheure Masse überzeugend zu gliedern und aus dem
Inhaltsverzeichnis schon etwas wie eine Architektur
zu machen; soweit aber wie Meier-Graefe es thut,
darf einer, der Geschichte zu schreiben meint, nicht
hinter dem Möglichen zurückbleiben. Meier-Graefes
Einteilung ist geistreich, aber sie schafft keine Ord-
nung, sie deckt die verborgene Logik der Entwick-
lung nicht auf. Dass der Verfasser in diesem Punkte
versagt hat, deutet darauf hin, dass er nicht imstande
ist, das Ganze so klar, so ruhig und souverän zu über-
sehen, wie man es von einem Historiker verlangen
muss.

In den zwölf Jahren, die zwischen den beiden
Auflagen liegen, hat Meier-Graefe gründliche Einzel-
studien geschrieben, er hat die Thatsachen besser be-
herrschen gelernt. Das ist vor allem den französischen
Künstlern zugute gekommen. Die Darstellung ist
reicher, erschöpfender geworden, aber nicht eigent-
lich klarer und lapidarer. Bei allem Talent, ja bei
einer gewissen Genialität der Einfühlungsfähigkeit,
führt Meier-Graefe im Stilistischen noch immer eine
Art von Indianertanz auf — was auf Unklarheit der
Empfindungen und Gedanken weist. Gerade hier ist
der Stil durchaus der Mensch. Viele Wendungen
bleiben in einem Wust vom Ungefähren stecken, der
Ausdruck ist verschwommen und das Temperament
wird nicht selten zum Gezappel. Das ist um so mehr

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