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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 8
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Ring, Grete: Das Kunstwerk im Museum und an seinem geschichtlichen Standort
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0306

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DAS KUNSTWERK

IM MUSEUM UND AN SEINEM GESCHICHTLICHEN STAND OR1

VON

GRETE RING

Es hat von jeher die Wertung altdeutscher Kunst
beeinträchtigt, dass das deutsche Bild einzig
als Teil eines grösseren Ganzen, als Flügel am
ornamentbesponnenen Schnitzaltar, im glasfenster-
erhellten Chor einer gotischen Kirche seinen Sinn
erhält. Jede fehlende Krabbe am Architekturaufsatz,
jede abgeschlagene Ecke vom Blütenkamm scheint
das Gesamtwerk schon um ein Teil seiner Wirkung
zu bringen. Das niederländische und italienische
Tafelbild stellt dagegen ein in sich geschlossenes
Ganze dar, das ohne wesentlichen Schaden zu
nehmen von Ort zu Ort, vom Bürgerhaus und der
Kapelle ins Museum versetzt werden kann. Dem
Publikum, das nicht gewohnt ist, der Kunst zu den
Quellen nachzuspüren, und sein Urteil nach dem
bildet, was ihm in. den Museen thatsächlich vor
Augen gestellt wird, blieb daher die deutsche Kunst
vergleichsweise fremd, etwa mit den Ausnahmen
Dürers, den seine Graphik ins Volk brachte, und
Cranachs, dessen Art die anmutigen Tafelbildchen
der Galerien schon eindringlich genug vertreten.

Zweimal ist im Verlauf der neueren Geschmacks-
wandlungen der Versuch gemacht worden, die
Schätzung der altdeutschen Kunst zu heben: im
ersten Jahrzehnt des neunzehnten und zu Beginn
des zwanzigsten Jahrhunderts, beide Male als —
ein wenig voraufgehende Parallclerscheinung —
zu einer nationalen Erhebung des Volkes. Den
Kunsttheoretikern um 1800 war das Dogma von
der höchsten Verflochtenheit und Untrennbarkeit
eines nordischen Altargebildes noch nicht in Fleisch
und Blut gegangen, und bei dem Wettrennen der
rheinischen Sammler der Zeit um die Werke be-
sonders geliebter Autoren konnte es leicht geschehen,
dass Stücke von ein und demselben Altarwerk zu
Wallraf und den Boissere'e, zu Lieversberg und dem
Rektor Fochem wanderten. Man denkt der Altar-
tafel aus Immermanns „Epigonen", die ein klug-
berechnender Verwalter aufgehobenen Klosterguts
zerspalten hatte, um die Teile teurer losschlagen zu
können, als er es vom Ganzen erwarten durfte.
Der Beschluss der charmanten Episode — wie die

Vereinigung der Bruchstücke am Ende eine eheliche
Verbindung der Besitzer nach sich zieht — trifft
leider nicht die typische Gesinnung der Zeit. In
der That zeigte sich jeder romantische Sammler
bemüht, im einzelnen „liebliche", seiner Vorstellung
vom Altdeutschen insonderheit entsprechende Tafeln
zu erwischen, ohne auf Komplettierung eines oder
des anderen Werks zu denken.

Dem zweiten Zeitpunkt der Neuwertung alt-
deutscher Kunst ging eine Epoche emsiger Forschung
voraus. Die Kunsthistoriker hatten gelernt, zu
reisen, zu vergleichen, zu rekonstruieren. Der ge-
schärfte Blick der jungen Generation sah die
Schädigungen, die der unbedenkliche fromm natio-
nale Eifer der Neuerer vor hundert Jahren ange-
richtet hatte. Es begann bei den thatkräftigen
Museumsleuten ein eifriges Zusammensetzspiel der
zersprengten Altäre. Manch ein Werk, das rheinische
Sammelleidenschaft zerstückt hatte, konnte nun aus
den Museen von Köln und Frankfurt, von München
und Schleissheirn zusammengelesen werden; wo
der Status von einst nicht wiederherzustellen war,
wurden alte Inventare und Quellenstücke durch-
forscht, um in wohldurcharbeiteten Katalognotizen
auf das ursprünglich Beabsichtigte hinzuweisen.

Neben den Bildermuseen wurden grosse Holz-
speicher errichtet, zunächst als eine Art Zwischen-
stufe zwischen dem Volkskunde- und Heimat-
museum und der eigentlichen Kunstsammlung, dann
immer mehr der grossen Kunst zugewandt. In diese
„Deutschen Museen" galt es, den deutschen Altar,
nachdem er mit allen Wurzeln und Verästelungen,
mit Untersatz und Schrein, Flügeln und Überbau
ausgegraben war, zu verpflanzen: nur so schien es
möglich, den Absichten der Schöpfer nachzukommen
und deutsche Kunst in einigermassen rechter Weise
zu propagieren.

Es kamen in der Folge die verschiedensten
Typen Deutscher Museen auf, einander in erstaun-
licher Schnelle ablösend. Das Nürnberger Ger-
manische Museum hatte den Anfang im grossen
Stil gemacht; es konnte in einen unausgeschöpften
 
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