Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

DOI Heft:
Heft 9
DOI Artikel:
Neue Bücher
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0368

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
NEUE BUCHER

Das kleine Kind, das eine Landschaft, einen Sonnen-
untergang noch nicht begreift, das buchstäblich
den Wald vor Bäumen nicht sieht, sammelt mit In-
brunst und wahrer Liebe einen Strauss Wiesenblumen.

Der Arbeiter, der mit Kopf oder Hand die ganze
Woche nur Zweckmässiges schafft, kehrt vom Sonntags-
spaziergang mit einem Strauss, mindestens mit ein paar
Blumen im Knopfloch heim.

Der Landmann, der die Obstblüte nur mit Hoff-
nungen oder Sorgen betrachtet, der die Kornblume und
die Herbstzeitlose scheel ansieht, hat doch irgendwo
bei seinem Hause eine Stelle, wo er Blumen zieht, nutz-
lose Blumen.

Ähnlich verhält sich der Mensch vielleicht zu den
Kindern, aber er denkt dabei an die werdenden Staats-
bürger, und Kinderschutz wird weniger aus Liebe zu
den kleinen Wesen als aus Sorge um die künftigen
Menschen getrieben.

Ähnlich verhält sich der Mensch vielleicht zu den
Singvögeln, aber Vogelschutzvereine müssen sich durch
den Hinweis auf die Insektenvertilgung legitimieren.

Blumenschutz-Vereine haben wir Gott sei Dank noch
nicht nötig, und wo etwa eine aussterbende Blumenart
dem Schutz empfohlen wird, geschieht es ganz naiv um
der Blume, nicht etwa um offizinaler Vorteile willen.

So ist es etwas ganz Besonderes um die Liebe des
Menschen zu den Blumen, unbestritten besteht sie in
allen Altersstufen, allen Gesellschaftsklassen, allen Zeit-
altern und ist ganz frei von allen Zweckbegriffen; mit
Ausnahme der wenigen offizinalen sind die Blumen
auch frei von jeder Ausnutzbarkeit.

Wenn die Blumenblätter fallen, wird die reifende
Frucht im Garten als etwas Störendes abgeschnitten
oder die ganze Pflanze wird weggeworfen. Die Frucht
oder die Zucht des Samens spielt keine Rolle im
Blumengarten. Und wo die Blumen, wie zum Beispiel
auf den Erfurter Feldern, nur auf Samen gezogen
werden, geht man traurig durch die duftenden, bunten
Äcker mit einer Empfindung, als werde hier Missbrauch
getrieben mit Jugend und Schönheit. Und selbst dieser
„Missbrauch" ist ja nur die Nutzbarmachung eines
Blumengeschlechtes, um daraus hundert nutzlose Ge-
schlechter aufspriessen zu lassen.

So zielt auchalle Veredlung derBlumenausschliesslich
auf die Steigerung ihrer Schönheit ab, und erreicht diese
häufig ganz auf Kosten ihres primitiven Zweckes, näm-
lich ihrer Fruchtbarkeit, indem sie Staubgefässe zu
Blumenblättern werden lasse

Und hier beginnt die Fortpflanzung des Indivi-
duums, nicht aus Samen, sondern aus Abspaltung
lebensfähiger Teile der Pflanze.

Aus dieser durch die Unfruchtbarkeit des Zucht-
produktes gegebenen Not hat Karl Foerster eine Tugend
gemacht. Er hat die Erhaltung und Ausbreitung des
Individuums durch Abspaltung zu einem Grundprinzip
seiner Staudengärtnerei in Bornim bei Potsdam erhoben.
Seine verfeinerteBlumenliebe sucht nicht nur die schöne
Art, sondern innerhalb der Art das von den Grazien
des Blumenhimmels reichst begabte Einzelwesen. Hat
er dieses Einzelwesen, entweder durch glücklichen Fund
oder durch Auswahl aus vielen gewonnen, so vertraut
er die Erhaltung seines Lieblings weder der Zufälligkeit
natürlicher noch der Ungewissheit künstlicher Befruch-
tung an, sondern durch besondere Verfahren, durch die
er den Ableger zum Wurzeltreiben zwingt, erhält und
vervielfacht er das erwählte Individuum. Die Eigen-
schaften, auf deren Auswahl und Erhaltung es ihm an-
kommt, sind auch wirklich mehr die Eigenschaften eines
Individuums, fast möchte ich sagen einer Persönlichkeit,
als die einer Art: denn nicht nur Beständigkeit, Wider-
standskraft gegen Schädlinge und dergleichen sucht er,
sondern eine besondere Schattierung des Blau oder
Rot, stolzes Hervorwachsen der Blüten über die Blätter,
eine besondere Haltung oder Neigung der Blume, das
Fehlen von Unregelmässigkeiten oder gerade das Vor-
handensein reizvoller Ungezogenheiten des Wuchses.

Sehen wir nicht einen geliebten Menschen, je tiefer
wir ihn erkannt haben, mit desto grösserem Kummer
altern und sterben und klammern uns sogar mehr an
die sein Individuum enthaltenden Werke und Geistes-
kinder, als an die seine Art fortsetzenden leiblichen
Nachkommen?

Bei einer so bewussen Eigenwahl nun, die an Stelle
des Zufalls, der Spielart, der Zuchtwahl (wie immer
man es nennen mag) sich selbst setzt, kommt es natür-
lich nicht mehr nur auf Sorgfalt und glückliche Hand
des Züchters an, sondern darauf, was für ein Mensch
der Züchter ist. Und hier liegt die Besonderheit Karl
Foersters. Er, selbst ganz vom Zweck genesen, liebt
die zwecklosen Blumen mit dem höchsten Maasse jener
naiven, kindlichen Liebe, auf der eben das ungewöhnliche
Verhältnis der Menschen zu den Blumen beruht. Er
liebt jedes seiner auserkorenen, auferzogenen Einzel-
wesen, er lebt in seinem Garten mitten unter ihnen
und lebt mit ihnen und träumt mit ihnen, an den Wänden
seines Arbeitszimmers hängen die Porträts schöner
Blumen-Individuen.

Etwas davon hat wohl jeder rechte Gärtner, jeder
Sammler, jeder Züchter. Foersters Blumenliebe aber
quillt aus dem Urgründe jener stillen, einfältigen Freude
am schönen Naturgebilde. Das fühlt man ebensowohl,
wenn man Foerser in seinem Garten umhergehen sieht,

358
 
Annotationen