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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 11
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NEUE BÜCHER

Alfred Lichtwark, Eine Auswahl seiner
Schriften in zwei Bänden. Besorgt von Wolf
Mannhardt. Mit einer Einleitung von Karl Scheffler.
Bruno Cassirer, Berlin 1917.

Alfred Lichtwarks Geist und Wort sind heute noch
lebendig. Nimmt man die beiden schönen Bände seiner
ausgewählten Schriften in die Hand, so fühlt man auf
jeder Seite den Anhauch dieser so durch und durch
lebendigen Persönlichkeit. Freilich ein kunsthistorisches
Werk ist die „Auswahl" nicht — Lichtwark liebte es
nicht, als Kunsthistoriker bezeichnet zu werden, und
die Kunsthistoriker haben — solange er lebte — gerne
mit leisem und hochmütigem Lächeln seinem Thun zu-
gesehn: er verstand ihnen zuviel von Kunst. Der Inhalt
des von W. Mannhardt besorgten und von K. Scheffler
mit einer warmen, klugen und schönen Einleitung ver-
sehenen Werkes ist kunstpädagogischer, ja auch kunst-
politischer Art. Lichtwark, war eine Lehrernatur im
höchsten Sinne; aus dem einstigen Volksschullehrer
wurde ein Lehrer seines Volkes. Und Lichtwark war
ein guter Politiker. Er trieb Museums-, Stadt-, Kunst-
und Kulturpolitik, indem er Ziele hatte und sie inner-
halb der gegebenen Möglichkeiten mit einem Mindest-
mass an Reibungswiderstand durch Menschen und Ver-
hältnisse zu erreichen wusste. Vom „deutschen Träumer"
schied ihn sein unbestechlicher und ausgeprägter Wirk-
lichkeitssinn, und seine Bildung und Erziehung schützten
ihn davor, ein Weltverbesserer zu werden.

Man möchte den ausgewählten Schriften wünschen,
dass sie in die Hände der deutschen Jugend kommen,
ja, dass ein paar in diesem kristallklaren Deutch ge-
schriebene Seiten Einlass in die Lesebücher finden. In
Lichtwark steckte ein Jüngling, und das Jugendliche
seiner Natur erklärt auch den Zauber, den seine Persön-
lichkeit grade auf junge Menschen ausübte, denen er
ohne dass sie es vielleicht selbst wussten oder ahnten,
Kamerad, Helfer und Führer geworden ist. Schon um
das Jahr 1893 hatte Lichtwark die seine Lebensarbeit
bestimmenden wesentlichen Gedanken, wieder ein Beleg
für den Satz, dass der Mensch kaum noch erwirbt, was
er nicht als Keim vor seinem dreissigsten Jahre schon
in sich gepflanzt hat. Als lel ztes Ziel der Lichtwarkschen
Arbeit kann man bezeichnen: die Veredelung des deut-
schen Bürgertums durch Erziehung seiner Sinne. Der
„Deutsche der Zukunft," wie ihn Lichtwark sich er-
träumte, war keineswegs ein Kunst-Mensch, sondern die
lebendige Vereinigung der besten Eigenschaften des
deutschen Universitätsprofessors, des Lehrers und des
Offiziers. Im Kriege, der Lichtwark so mancher Illusion
beraubt haben würde, hätte er anderseits vielleicht grade
die Vermählung des deutschen Geistes mit dem deutschen
Schwerte begrüsst.

Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis der Auswahl
lehrt, einen wie weiten Pendelschlag Lichtwarks geistige
Arbeit hatte. Vom Menschlich-Persönlichen, das am
schönsten und unmittelbarsten aus der Bekenntnis-
charakter besitzenden Schrift über Justus Brinckmann
spricht, führt der Weg zu Fragendes Lebens, des gesell-
schaftlichen Zusammenseins im Hause und an Bord, im
Auto und Luftschiff, zu Daseinsformen vergangener,
gegenwärtiger und zukünftiger Menschen. Einen breiten
Raum nehmen die der Erziehung der Sinne und durch
sie der Seele gewidmeten Arbeiten ein, hier ist vor allem
der „Erziehung des Farbensinnes" zu gedenken. Als
einen Weg zum Ziel der Augenkultur hatte Lichtwark
die Pflege des Dilettantismus erkannt, der in Deutsch-
land bisher eigentlich nur für die Musik in Frage kam;
auch aus diesem Schriftenkreise werden Proben gegeben.
Dann schliesst sich die Gruppe im engeren Sinne kunst-
geschichtlicher Aufsätze an mit den feinen Charakte-
ristiken einzelner Künstlerpersönlichkeiten wie: Böcklin
und Menzel, von älteren: Franke,Dürer,Rembrandt. Zu
den unpersönlichen, kühleren architektonischen Pro-
blemen führen dieStudien überPark- und Gartenanlagen,
über Haus- und Schloss-, Museums- und Stadtarchitektur.
Hier sind methodisch musterhafte Stadtanalysen und
Proben edelster kunstgeschichtlicher Reisevorbereitung
gegeben. Schliesslich war Lichtwark doch auch Muse-
umsdirektor und die Fragen organisatorischer und
museumstechnischer Natur haben ihn vom Augenblick
der Übernahme der Kunsthalle an aufs lebhafteste be-
schäftigt. Es hat etwas Tragisches, dass er wenige Jahre
vor der Vollendung des neuen Teiles der Kunsthalle,
in der er die Ernte seines Lebens hatte ausbreiten wollen,
gestorben ist. Lichtwarks Einleitung der Festschrift
für Justus Brinckmann, die — wie Scheffler schön heraus-
hebt — teilweise eine verkappte Selbstbiographie Licht-
warks ist — enthält den Satz: „Er hatte das Gefühl,
dass für jede spätere Lebensarbeit die Bekanntschaft
mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Volkswirt-
schaft unentbehrlich sei." Wie in Lichtwarks Gesamt-
schaffen volkswirtschaftliche Fragestellungen und Inter-
essen den ästhetischen die Wage hielten, das lehren die
ausgewählten Schriften mit aller Deutlichkeit. Wer
wirken und in der Öffentlichkeit für seine Sache kämpfen
will, wird wie Brinckmann und Lichtwark durch die
Schule der Volkswirtschaft gehen müssen.

Den Aufsätzen ist eine willkommene Liste der im
Buchhandel erschienen Schriften Lichtwarks angehängt.
Sie mag hier durch ein Verzeichnis der nicht im Buch-
handel herausgekommenen Arbeiten ergänzt werden,
zumal einige der ausgewählten Abschnitte (zum Beispiel
über Dürers Marienleben) eben dieser zweiten Gruppe
entnommen sind: Philipp Otto Runges Pflanzenstudien.

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