CAMLLLE COROT, GARTEN AN DER RIVIERA, BES.: FRAU adele wolde
WIEN
VON
EMIL UTITZ
Vor einigen Monaten erschien in der Sammlung
„Berühmte Kunststätten" ein Buch vonHansTietze
über Wien. Reiches Wissen, tiefes Verständnis und
innige Liebe zur Heimat vereinten sich glücklich zu
einer Meisterleistung. Die folgenden Ausführungen
wollen weder in einen — im vorhinein schon aussichts-
losen — Wettbewerb mit dieser Schrift treten, noch
auch Kritik sich anmassen. Der Historiker hat die Linien
der geschichtlichen Entwicklung nachgezeichnet und an
der Schwelle der Gegenwart mit warmen Wünschen
für die Zukunft geschlossen. Wir beginnen recht eigent-
lich dort, wo er geendet. Man kann also unsere Be-
trachtungen als Epilog ansehen zu jenem Drama, das
die bunten Schicksale einer Stadt von ihren Anfängen
bis zur jüngsten Zeit vorführt. Zugleich glauben wir
aber auch, einen Prolog sprechen zu dürfen, dem jedoch
keineTragödie nachfolgen soll, sondern einSchauspiel —
reich und vielgestaltig — wie jenes, das Tietzes Feder
ausgemalt hat.
Die Geschichte Wiens ist heute an einem Punkt an-
gelangt, von dem man nicht weiss, ob er ein Schluss-
punkt ist, odet nur einen Abschnitt bedeutet. Die Ge-
fahr droht, dass die Reichshauptstadt ohne Reich, die
Kaiserstadt ohne kaiserlichen Hofstaat verödet, ein
„lebender Leichnam" wird, ein Museum verwehter
Herrlichkeit, wie so viele Städte Italiens, besonders das
stolze, wunderbare Ravenna.
Wiens kulturpolitische Stellung in den letzten Jahr-
zehnten Hess sich mit der Berlins gar nicht vergleichen.
Gewiss war Berlin auch Residenz; aber weder in der
81
WIEN
VON
EMIL UTITZ
Vor einigen Monaten erschien in der Sammlung
„Berühmte Kunststätten" ein Buch vonHansTietze
über Wien. Reiches Wissen, tiefes Verständnis und
innige Liebe zur Heimat vereinten sich glücklich zu
einer Meisterleistung. Die folgenden Ausführungen
wollen weder in einen — im vorhinein schon aussichts-
losen — Wettbewerb mit dieser Schrift treten, noch
auch Kritik sich anmassen. Der Historiker hat die Linien
der geschichtlichen Entwicklung nachgezeichnet und an
der Schwelle der Gegenwart mit warmen Wünschen
für die Zukunft geschlossen. Wir beginnen recht eigent-
lich dort, wo er geendet. Man kann also unsere Be-
trachtungen als Epilog ansehen zu jenem Drama, das
die bunten Schicksale einer Stadt von ihren Anfängen
bis zur jüngsten Zeit vorführt. Zugleich glauben wir
aber auch, einen Prolog sprechen zu dürfen, dem jedoch
keineTragödie nachfolgen soll, sondern einSchauspiel —
reich und vielgestaltig — wie jenes, das Tietzes Feder
ausgemalt hat.
Die Geschichte Wiens ist heute an einem Punkt an-
gelangt, von dem man nicht weiss, ob er ein Schluss-
punkt ist, odet nur einen Abschnitt bedeutet. Die Ge-
fahr droht, dass die Reichshauptstadt ohne Reich, die
Kaiserstadt ohne kaiserlichen Hofstaat verödet, ein
„lebender Leichnam" wird, ein Museum verwehter
Herrlichkeit, wie so viele Städte Italiens, besonders das
stolze, wunderbare Ravenna.
Wiens kulturpolitische Stellung in den letzten Jahr-
zehnten Hess sich mit der Berlins gar nicht vergleichen.
Gewiss war Berlin auch Residenz; aber weder in der
81