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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 17.1919

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Heft 8
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Scheffler, Karl: Die Zukunft der deutschen Kunst: ein Vortrag
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https://doi.org/10.11588/diglit.4754#0324
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FRIEDRICH WASMANN, BURG IN TIROL

DIE ZUKUNFT DER DEUTSCHEN KUNST

EIN VORTRAG

VON

KARL SCHEFFLER

Wenn über die Zustände unserer Kunst ge-
sprochen wird, sei es in den Kreisen von
Künstlern oder Kunstfreunden, so begegnet man
immer wieder der Überzeugung, dass es mit der Kunst
von Jahr zu Jahr besser gehen wird. Fast alle werden
beherrscht von dem Glauben an das, was das Wort
Entwickelung umschreibt, das heisst von dem Glau-
ben, die Menschheit sei in ihrem Denken und Thun
in einem zwar langsamen aber unaufhaltsamen
Aufstieg begriffen, sie werde immer besser und
würde wahrscheinlich einmal in ferner Zeit ein
Ziel der Vollkommenheit erreichen. Dieser Glaube
ist so recht ein Kind des politischen und wirtschaft-
lichen Optimismus der letzten Jahrzehnte, er ist ein
Produkt jenes Materialismus, der noch heute inner-
lich nicht überwunden ist. Er ist hervorgegangen
aus dem Stolz auf wissenschaftliche Erkenntnis,
und sein Motto ist, was Mephisto dem Schüler ins
Album schrieb: „Ihr werdet sein wie Gott und er-
kennen das Gute und Böse." Dieser Glaube an
Entwicklung ist eigentlich nichts anderes als eine

Banalisierung des alten christlichen Vervollkomm-
nungstriebes. Seit die Menschen ungläubig gewor-
den sind, haben sie die Idee von der Entwicklung
aus der Persönlichkeit in die Allgemeinheit, aus
dem Innern in die Öffentlichkeit verlegt. Seit sie
nicht mehr glauben an den dauernden Aufstieg
ihres geistigen Selbst, haben sie das Bedürfnis,
wenigstens an einen dauernden Aufstieg der Gesell-
schaft zu glauben. Und darum haben sie die Idee
der Entwicklung — man kann sagen — erfunden.
Ohne nun auf diesen ins Geistige übertragenen
Darwinschen Begriff von der Höherentwicklung
der Art einzugehen und seine Haltlosigkeit in dieser
Beziehung nachzuweisen, möchte ich, um eine
Grundlage der Verständigung zu schaffen, nur be-
tonen, dass es eine Entwicklung solcher Art in der
Kunst nicht giebt. Es giebt unaufhörlich Meta-
morphosen in der Kunst, aber es giebt nicht eine
ständige Höherentwicklung. Es kann sie schon
darum nicht geben, weil die Kunst nicht auf einer
Summe vermchrbarer Erfahrungen beruht, sondern

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