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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 17.1919

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Heft 11
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Hildebrand, Adolf von: Über die Gestaltung von Kirchhöfen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4754#0477
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1B

ÜBER DIE GESTALTUNG VON KIRCHHÖFEN

VON

ADOLF VON HILDEBRAND

Das Unkünstlerische der grossen Kirchhöfe, bei
denen man in ein unruhiges Meer von Grabmalern
sieht und jedeWirkung eines Einzelwerkes zunichte wird,
hat zu den Waldfriedhöfen Veranlassung gegeben. Diese
haben den Zweck, in ihrer schattigen Waldruhe die
Grabmäler stimmungsvoll aufzunehmen, und erfüllen
ihn aber nur so lange, als der Wald nicht durch Über-
füllung von Grabmalern verschiedener Form und durch
zu viele geregelte Wege, den eigenen, ursprünglichen
Charakter verliert. Diese Gefahr kann nur durch sehr
grosse Ausdehnung vermieden werden, was den Besuch
wiederum sehr erschwert.

Vergleichen wir unsere Waldfriedhöfe mit tür-
kischen Grabstätten, die aus Zypressenhainen bestehen,
unter denen niedrige, immer gleichartige Steinmäler
wie Pilze anspruchslos hervorragen, so bilden letztere
ein einheitliches, stimmungsvolles Ganzes, weil eben
nur zwei Gegensätze zu uns sprechen — die hohen
Bäume und die gleichen Steine. Das Auge hat nur
diesen einenGesamteindruckaufzufassen, undobgrösser
oder kleiner, die Ausdehnung des Kirchhofes hat darauf
keinen Einfluss.

Beim Waldfriedhof und seinem beständigen Wechsel
der Grabsteine in Form und Grösse ist dagegen die
Isolierung der Grabmäler eine Notwendigkeit, um ein-
heitliche Bilder jedesmal zu ermöglichen.

Der schwierige Punkt bei uns liegt in dem Gegen-
satz zwischen dem Einheitsbild des gemeinschaftlichen
Kirchhofes und dem Einzelbedürfnis, jedes Grab nach
persönlichem Geschmack und Neigung zu schmücken.
Ist der Kirchhof klein, wie auf dem Lande, dann ist die
Abwechslung zwischen den verschiedenen Kreuzen und
Steinmälern von besonderem Reiz, weil leicht zu über-
sehen. Mit der Grössenzunahme der Einzeldenkmäler
und der Ausdehnung des Kirchhofes wird aber ein
solches System zum Chaos.

Es ist deshalb ein künstlerisches Bedürfnis, eine
Form für die Kirchhöfe zu finden, welche diese Mängel
überwindet. Diese Aufgabe Hesse sich folgendermassen
lösen:

Anstatt des einheitlichen Gesamtfriedhofes werden
lauter kleine, ganz getrennte Höfe aneinander gereiht,
die aber durch Mauern von i,jo Meter Höhe ganz ge-
trennt sind, so dass man immer nur den Kirchhof sieht,
in den man hineingeht. Diese verschiedenen Kirch-
höflein von ganz verschiedenerForm und Grösse können
dann in verschiedener Weise gehalten werden und jeder
hat seine einheitliche Wirkung. Abgesehen von dem
kleinen Dorffriedhof, der dann wieder zu seinem Rechte

Anm. d. Red.: Mit Erlaubnis der „Süddeutschen Monatshefte".

kommt, wäre eine ganz neue Form möglich. Anstatt
dass jedes Einzelgrab in besonderer Weise künstlerisch
geschmückt wird und ohne Rücksicht auf das Neben-
grab isoliert gedachtist, liesse sich dieserlndividualismus
auf einen besonderen Charakter des kleinen Friedhofes
konzentrieren und so das persönliche Einzelbedürfnis
befriedigen, ohne dass jeder das Grab gerade verschieden
schmückt.

Während das Einzelgrab z. B. als einfache Inschrift-
tafel an derMauer, oder auf der Erde sich kennzeichnet,
hätte solch kleiner Friedhof ein gemeinsames Kunstwerk.
Sei es ein Relief der Madonna oder eine Grablegung
an der Wand, sei es ein Christus am Kreuz, oder ein
Heiliger auf einem Postament, oder sei es eine architek-
tonische Gestaltung, z. B. ein Kreuzgang, oder sei es
ein kleiner Hain, wodurch jeder kleine Kirchhof seinen
individuellen künstlerischen Charakter erhält. Jedes
wäre ein anderes, einheitliches, künstlerisches Ganzes
und durch die Verschiedenheit jedem die Möglichkeit
geschaffen, eine ihm liebe Stätte zu finden, die seinem
inneren Bedürfnis den schönsten Ausdruck giebt. Darin
läge das Wertvolle. Einerseits käme Ruhe und Raum
in die Grabstätte, weil der geringe Raum, der dem Ein-
zelnen zu Gebote steht, nicht durch Aufbauten ver-
engt wird, und anderseits wäre für das einzelstehende,
gemeinsame Kunstwerk die nötige Ruhe der Umgebung
gewonnen.

Ohne irgendwie mehr Platz zu beanspruchen, ent-
ständen viele, ganz verschiedene, kleinere oder grössere,
alle in ihrer Art poetische Kirchhöfe, die man aber nur
sieht, wenn man es will und sie extra aufsucht, so dass
der Trauernde nur die eine bestimmte Stätte besuchen
kann, wo es ihn hinzieht.

Und zwar denke ich mir, dass von den verschiedenen
Seiten immer eine der Hauptalleen zur Kapelle und dem
Totenhaus führt, deren hohe Einfassungsmauern sich
nischenartig fortsetzen, um auch da Einzelgräbern stille
Einzelplätze zwischen Bäumen zu schaffen. Diese Ni-
schen wären von beiden Seiten der Mauer zu benutzen.
Von diesen Hauptalleen führte dann von Zeit zu Zeit
ein Thor in einen Seitenweg zu dem Komplex der kleinen
Einzelhöfe.

Es liesse sich denken, dass diese kleinen Einzelhöfe
verschieden entstehen. Einmal dadurch, dass sich
mehrere Familien vereinigen und einen Hof gemein-
schaftlich ankaufen, und sich dann ihr betreffendes
Kunstwerk selbst durch einen Künstler bestellen und
bestimmen, oder aber die Kirchhofbehörde schmückt
von sich aus durch ein Kunstwerk solchen Einzelhof
und verkauft dann den Kosten entsprechend die ein-

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