ALFRED KUHIN, DIE SCHLANGE
ALFRED KUßlN
VON
KARL SCHEFFLER
Der Zeichner Alfred Kubin ist eine Grenznatur.
Darum ist er eine für die Kritik ergiebige
Erscheinung. Er giebt Anlass zu allgemeinen Be-
trachtungen, seine Gestalt zieht Probleme an, und
es lockt seine Kunst, merkwürdige Seelenzustände
zu enträtseln. Kubin lockt die Kritik durch seine
Problematik, in Maler oder Zeichner, in dessen
Werken alles restlos zur schönen Form wird, bietet
der Kritik viel weniger Möglichkeiten. Man ist
mit ihm — als Kunstrichter — eigentlich fertig,
wenn man die Schönheit seiner Werke konstatiert
hat. Der Mensch, der hinter einem raffaelitischen
oder holbeinischen Kunstwerk steht, ist fast un-
greifbar, und die klassische Schönheit der Werke
kann auch nur von fern beschrieben werden. Überall
ist das Dissonierende besser zu schildern als das
Harmonische; die Hölle ist leichter anschaulich zu
machen als der Himmel. Schriftsteller lassen sich
hiervon nicht selten verführen; sie meinen, was sich
interessant beschreiben lässt, sei von höherem Wert.
Auf diesem Wege wird das Kunsturteil dann
literarisch.
Die Produktion Kubins führt in diesen Ge-
dankengang tiefer hinein.
Entscheidend für die treibende Kraft des
Talents ist die Fähigkeit seines Trägers sich über
das Dasein der Welt und über die Erscheinungen
des Lebens zu verwundern. Was den Künstler
109
ALFRED KUßlN
VON
KARL SCHEFFLER
Der Zeichner Alfred Kubin ist eine Grenznatur.
Darum ist er eine für die Kritik ergiebige
Erscheinung. Er giebt Anlass zu allgemeinen Be-
trachtungen, seine Gestalt zieht Probleme an, und
es lockt seine Kunst, merkwürdige Seelenzustände
zu enträtseln. Kubin lockt die Kritik durch seine
Problematik, in Maler oder Zeichner, in dessen
Werken alles restlos zur schönen Form wird, bietet
der Kritik viel weniger Möglichkeiten. Man ist
mit ihm — als Kunstrichter — eigentlich fertig,
wenn man die Schönheit seiner Werke konstatiert
hat. Der Mensch, der hinter einem raffaelitischen
oder holbeinischen Kunstwerk steht, ist fast un-
greifbar, und die klassische Schönheit der Werke
kann auch nur von fern beschrieben werden. Überall
ist das Dissonierende besser zu schildern als das
Harmonische; die Hölle ist leichter anschaulich zu
machen als der Himmel. Schriftsteller lassen sich
hiervon nicht selten verführen; sie meinen, was sich
interessant beschreiben lässt, sei von höherem Wert.
Auf diesem Wege wird das Kunsturteil dann
literarisch.
Die Produktion Kubins führt in diesen Ge-
dankengang tiefer hinein.
Entscheidend für die treibende Kraft des
Talents ist die Fähigkeit seines Trägers sich über
das Dasein der Welt und über die Erscheinungen
des Lebens zu verwundern. Was den Künstler
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