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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 20.1922

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Heft 1
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Grossmann, Rudolf: Domechronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4747#0045
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RUDOLF GROSSMANN PASCIN IM CAFE DU DOME. ZEICHNUNG

DÖMECHRONIK

VO N

RUDOLF GROSSMANN

Die Deutschen lebten in Paris ungefähr wie in einer kleinen
sächsischen Provinzstadt, hatten von Frankreich keinen
Schimmer, wußten nicht was ein Franzose sei und besuchten
im Ganzen nur Massenveranstaltungen, worin sie untergingen
wie kleine Hunde.

In einem zeichneten sich die Deutschen aus: daß sie sich
allmählich der kunstgewerblich bekleideten deutschen Mal-
jungfrau entfremdeten, die in Ermangelung anderer Vergnü.
gungen still auf der Gitarre weiter weinte und ebenso schlecht
wie erfolglos weiter malte. Unter Anleitung einer Frau Mutter-
milch, deren übler Kitsch von deutschen Malerinnen begei-
sternd auf Ansichtspostkarten verteilt wurde.

Inzwischen orientierte sich der deutsche Maler so gut
seine Mittel es ihm erlaubten. Levy erstand sich einen Hosen-
gürtel, um den Apachen zu markieren, und entdeckte für die
Deutschen die Rue de la Gaite. Nun strömten die Domiers
in den petit bobino, milles colonnes, la gaite. Was sie daran
begeisterte, war die Erinnerung an ein Plakat von Toulouse-
Lautrec. Beglotzte man eine parallel rangierte Jongleurtruppe,
so glaubte unser lieber Freund Götz Seurat entdeckt zu haben.
Daneben muß man feststellen, daß in der gleichen gaite Cour-

teline gespielt wurde. Dort entzückte le vieux Cambo uns
alle, ein Mann, von dem Pallenberg einen schwachen Ab-
klatsch gibt. Das waren noch die schönen Zeiten, als Dieu-
donnö & Co. am hellichten Tage die großen Pariser Banken
ausplünderten, während die kleinen Zuhälter den Damen nur
die Ohrringe aus den Ohren ausrissen. Es war der große
Abend des Cafe du Dome, als die Domiers sämtliche erreich-
baren Gelder des Boulevard Mont Parnasse fusionierten, um
sich ein Auto nach Crecy zu leisten, wo die große Schlacht
gegen Bonnot und Garnier und die Dieuxdonnebanditen statt-
fand. Es war dies eine der gewagtesten Finanzoperationen
des Domes, aber man glaubt, daß kurz vor der Kriegserklä-
rung 1914 die Autoschuld von vierzehn Francs von den fünf-
undzwanzig Mitgliedern des Domes bereits gelöscht war. Be-
friedigt stellten wir bei dieser Affäre den wachsenden Ein-
fluß Deutschlands fest, denn in der Rocktasche des von
Spazierstöcken und Regenschirmen zerfetzten Bonnot fand
man Stirners: „Der Einzige und sein Eigentum". Donners-
tag und Samstag abends besuchte man pflichteifrig den bal
bullier. Der österreichische Römer Fiori verteilte die Frei-
karten, während Pascin sich heroisch weigerte, von dort seine

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