Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

DOI Heft:
Heft 9
DOI Artikel:
Liebermann, Max: Rede zur Eröffnung der Frühjahrsausstellung der Akademie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0375

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
REDE

ZUR ERÖFFNUNG DER F R Ü H J AH R S AU S S T E LLU N G DER AKADEMIE

VON

MAX LIEBERMANN

T Tnter dem Schlachtruf „Los von der Natur"
^— kam am Anfange dieses Jahrhunderts von
Frankreich her eine starke Bewegung über unsere
Kunst, die alles mit sich fortzureißen drohte: die
jüngere Künstlerschaft, die Kritik, das ganze Heer
der Kunstschreiber und der Kunstbeamtenschaft.
Unter den letzteren die Museums- und Galerie-
direktoren, die sich die Bilder der Expressionisten
für ihre Sammlungen sicherten in allzu kluger Vor-
aussicht, jetzt für Hunderte von Mark zu kaufen,
was sie später mit Tausenden und Zehntausenden
zu bezahlen gezwungen sein würden. Es ist an-
ders gekommen und mancher Galeriedirektor würde
gern die Geister, die er rief, wieder los sein. Aber
leider sind sie keine Hexenmeister.

An Stelle des „Los von der Natur" ertönt es nun
wieder „Zurück zur Natur" und ich glaube, daß un-
serer Akademie an dem beginnenden Beruhigungs-
und daher Gesundungsprozeß wesentliches Verdienst
zukommt, indem sie nicht ihre Tore verschloß, aus
Angst, daß der Sturm ihre Perücke — die ihr be-
kanntlich immer noch angedichtet wird — zer-
zausen würde, oder indem sie gar mit Polizeimaß-
regeln gegen eine Richtung, die ihr nicht paßte,
vorging, sondern sie suchte den Weizen von der
Spreu zu sondern, das Künstlerische im Neuen in
ihre Ausstellungen aufzunehmen, ihrem alten Grund-
satze gemäß, nur nach der Qualität zu urteilen.

Schon Menzel hatte klagend ausgerufen: Wir
haben keine Kritik. Was aber würde er sagen,
wenn er Sätze lesen müßte wie diesen: „Es ist
eine Sünde, Dinge, die es in der Natur schon gibt,
noch einmal im Bilde wiedergeben zu wollen." Ja,
was für Dinge soll der Künstler denn sonst wieder-
geben? Haben denn etwa Menzel oder Leibi an-
dere Dinge wiedergegeben als die, die sie umgaben ?
Und waren doch unsere größten Künstler! Wer
über Kunst öffentlich spricht oder schreibt, müßte
doch wissen, daß mechanische Nachahmung nichts
mit Kunst zu tun hat, „sonst würde", wie Lessing
es so wundervoll ausdrückt, „Nachahmung der
Natur überhaupt kein Grundsatz der Kunst sein
oder, wenn sie es doch bliebe, würde durch ihn

selbst die Kunst, Kunst zu sein, aufhören". Es ist
eine gerade unter Gebildeten sehr verbreitete und
dabei eine der irrigsten ästhetischen Meinungen,
daß der Künstler, der sich am strengsten und engsten
an die Natur hält, sie am meisten „abschriebe",
während der wahre Künstler sich kühn über sie
hinwegsetzt. Wer das annimmt, verwechselt Phan-
tasie mit Phantastik. Denn Phantasie ist Gestal-
tung unserer Vorstellungen, sie ist die Form, nicht
der Inhalt. Daher entscheidet über den größeren
oder minderem Gehalt an Phantasie in einem Werke
ausschließlich dessen Qualität. Leibi besitzt mehr
spezifisch malerische Phantasie als irgendein idealisti-
scher Deutsch-Römer, weil er besser gemalt hat
als zum Beispiel Feuerbach oder Marees.

Aus Weimar schreibt Wilhelm von Humboldt
seiner Frau: „Er (Goethe) teilt alle Bilder in die
ein, die zur Bilderwelt und die, welche zur Natur
gehören. Bei den ersten hat der Maler nur an-
dere Bilder vor Augen, bei den letzteren die wahre,
volle und doch idealische Natur." In diesen so
einfachen Worten, wie sie nur das Genie findet,
legt Goethe den fundamentalen Unterschied zwi-
schen sentimentaler und naiver Kunst dar. Und
indem er darin Bekenntnis ablegt von seinem eige-
nen Schaffen, gibt er uns die Richtschnur für unser
Schaffen. Wir wären gewappnet gegen alle eitlen
Schlagworte der modernen Kunstästhetiker, gegen
die Theorien der Schulen und Richtungen und bei
aller Verschiedenheit der Temperamente würden wir
uns einigen können unter der Devise Natura
artis magistra.

Ich weiß wohl, daß man in Worte nicht fassen
kann, was das Eigentliche des Kunstwerks aus-
macht: seine Qualität. Könnten wir es, so wür-
den wir das Kunstwerk vernichten. Und selbst die
Sezierung der Leiche würde uns dem Verständnis
nicht näher bringen, denn am Kadaver kann man
nicht das Leben studieren. Und das Leben ist eben
die Qualität des Kunstwerks, alles andere ist Hand-
werk. Nur auf dem Wege durch das Auge können
wir in den Geist des Bildes eindringen, wie in die
Musik durch das Ohr.

348
 
Annotationen