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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 11
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Scheffler, Max Friedrich: Die Internationale Buchkunstausstellung in Leipzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0460

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DIE INTERNATIONALE BUCHKUNSTAUSSTELLUNG IN LEIPZIG

MAX FRIEDRICH SCHEFFLER

Zwanzig Nationen mit tausend Künstlern und Buchgewerb-
lern repräsentieren hier zeitgenössische Buchkunst. Diese
umfassende Veranstaltung des Vereins „Deutscher Buchkünst-
ler" gibt eine vergleichende Übersicht der besten buchkünst-
lerischen Arbeiten aller Länder innerhalb der letzten zwölf
Jahre, setzt also den Gedanken der „Bugra" von 1914, so-
weit er der Buchkunst diente, fort. Dies zu einem Zeitpunkt,
wo sich die kunstgewerbliche Bewegung — der jedes Gewerbe
Entscheidendes zu danken hat — in ihrer artistischen Form
vollendet zu haben scheint und überall Wege zu den Bedürf-
nissen einer veränderten Wirtschaft und Mentalität gesucht
werden. Für die Beurteilung ist es wichtig, daß die ange-
wandte Kunst hier als Selbstzweck gewertet wird, der rein
künstlerische Standpunkt betont ist, daß das Bestreben herrscht,
die Kunst um ihrer selbst willen in die Technik zu tragen —
als sei das Technische ein Hemmnis für die Entwicklung
künstlerischer Form.

Es handelt sich um „Buchkunst", nicht um Buchdrucker-
kunst, obwohl man diese mit unter dem Begriff verstanden
wissen will. Das Gewerbe und seine typische Produktion
ist nicht vertreten, wenigstens nicht offiziell. Die Buchkünstler
stellen sich an die Spitze des Gewerbes als Führer, im Be-
wußtsein einer weiteren Mission. Dieses Bewußtsein wirkt
schon darum suggestiv, weil eine Ausstellung des eigentlichen
Gewerbes im Ganzen nie dieses Niveau ausgeglichenen Ge-
schmacks erreicht hätte; vielleicht aber, daß eine Ausstellung
in Gemeinschaft mit dem Gewerbe die neuen Wege berührt
oder gar gedeutet hätte.

„Buchkunst" nannte vor etwa dreißig Jahren eine An-
zahl bildender Künstler ihre kunstgewerblichen Bestrebungen,
das in gleichgültiger Massenproduktion erschöpfte Buchge-
werbe wieder mit der Tradition zu verbinden und ihm
Niveau zu geben. Das damals entstandene moderne Kunst-
gewerbe hat wirkliche Erneuerung gebracht und einen Buch-
stil geschaffen, der internationale Beachtung fand. Eine Art
Tradition konnte entstehen, weil die Künstler in den Ge-
samtprozeß der Buchherstellung eingriffen, sich mit den tech-
nischen Bedingungen vertraut machten und mit den Grund-
elementen der Type, des Einbandes, der Typographie aus-
einandersetzten. Die Bewegung begann ornamental, fand
abstrakte Formen, entwickelte das Technische und ist schließ-
lich aus Mangel an lebendiger Anregung — die nur der nahe
Umgang mit dem Material gewährt — in eine merkwürdige
Zwischenstellung, in eine Spezialisten-Tätigkeit uniformen
Charakters gedrängt worden und so ihres Grundgedankens
verlustig gegangen. Die Krisis hier wie im ganzen Kunst-
gewerbe ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die
Buchgewerbler sich zwar „dem Buche verschrieben" haben,
nicht aber unmittelbar im Gewerbe leben; daß sie neben
ihrer Tätigkeit meist ausübende, freie Künstler geblieben sind
und notwendig von der Kunst aus denken, wo sie die lebendige
Technik entwickeln und die Form von dieser empfangen sollten.

Dieser Zwiespalt erklärt auch den Stand der Buchillustra-
tion, die doch nur einen kleinen Teil der eigentlichen Buchkunst

darstellt, neben Bucheinband und Schriftzeichnung aber den
breitesten Raum erhalten hat. Angewandte und freie Graphik
stehen sich hier gegenüber. Richter und Menzel zeichneten
als letzte noch für eine Originaltechnik; die neunziger Jahre
und die Jahrhundertwende sahen, nach einer Zeit dunkler
Illustratorenkünste, nur noch Künstler, die für photomecha-
nische Verfahren arbeiteten: vor allem Oberländer, Busch und
den Simplizissimuskreis. Die buchgewerblicheBewegungbrachte
uns die angewandte Illustration, die sich der streng geschlos-
senen, tvpographischen Form „rhythmisch" einordnen sollte.
Als Ideal des illustrierten Buches erschien hier etwa das
mittelalterliche Blockbuch, und man hat uns ja auch wieder
ganz in Holz geschnittene und sogar geschriebene Bücher
beschert. Die Ergebnisse typographischer Illustration wirken
einheitlich trocken und monoton. Die freie Illustration hat
sich den Originaltechniken wieder zugewandt und bleibt
damit einem kleinen Kreise von Zahlungsfähigen vorbehalten.
Bezeichnend ist, daß sich aus der stattlichen Zahl illustrie-
render Künstler Gruppen von Geistesverwandten bilden
lassen, daß die einzelnen Sippen einem Ahn nachschlagen —
meist einem ausgesprochenen Illustrator — und daß sogar
etwas wie internationale Familienähnlichkeit festzustellen ist.

Man beobachtet eine gewisse Gleichartigkeit des Stils in
den meisten Ländern, oft bis zur Grenze einer nur leicht
nuancierten Einförmigkeit. Überall ein Zurückgreifen auf
alte Formen, eine erstaunliche Geschicklichkeit und ein Zug
zum Weichen, Gefälligen, der oft unpersönlich wirkt. Die
Betonung des Geschmacklichen, des Ornamentalen bringt
eine Überschätzung des formalen und einen Konventionalis-
mus, der seiner Natur nach eklektisch und konservativ ist.
Diese Gleichartigkeit wird nicht zuletzt durch den Mangel
an wirklichen Buchschriften erzeugt; auch die deutschen
Künstlerschriften, die den Ruhm der deutschen Buchkunst
begründeten, sind bei aller Mannigfaltigkeit in der Abwand-
lung doch nur Erzeugnisse eines feinen Dilettantismus und
nicht zufällig wirken sie wie ausgesprochene Akzidenz-
schriften. Es ist, als wären sie für die beschränkte Verviel-
fältigung bestimmt. Die Arbeiten von Rudolf Koch sind
anderer Art; sie interessieren im besonderen, weil versucht
wird, den Weg des Künstlers zu verlassen und den des
Fachmannes zu gehen. Die alten Vorbilder werden unab-
hängiger verarbeitet, der Ausdruck ist kräftiger. Eine Fülle
von Aufgaben harrt sachlicher Lösung: die Setzmaschinen-
type, die Zeitungsschrift, die Plakattype; die prätentiöse
Einstellung erschwert aber diese Aufgaben unnötig.

Sollte nicht das durchaus Zweckentsprechende immer
auch das ästhetisch Schöne, das durchentwickelt Technische
nicht auch künstlerische Form sein?

Die Fülle prächtiger Handeinbände bringt den Gedanken
nahe, daß die rein handwerklich ausgeübte Kunstbinderei
zu den aussterbenden Berufen gehört; die Modeansicht, daß
der Buchdeckel ein graphisches Blatt sei, vergeht. Die buch-
gewerbliche Konfektion, der wir entgegengehen, wird das
Material und die Sparsamkeit betonen.

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