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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 12
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Tietze-Conrat, Erika: William Blakes 100. Todestag
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0497

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WILLIAM BLAKES ioo.TODESTAG

VON

E. TIETZE-CONRAT

Zu Blakes hundertstem Todestag hat der Burlington Fine
Art Club eine Ausstellung in seinem Hause in der Sa-
ville Row eröffnet. Es sind ganz wenige Gemälde in
einer Art Temperatechnik, die Blake selbst Fresko nannte;
sehr viele Aquarelle, zumeist aus dem Besitz des Graham
Robertson Esq., der den Rest jener fünfzig Aquarelle
erworben hat, die Blake in den Jahren 1799 bis 1810
für Thomas Butts, eine Guinea das Stück, gemalt hat;
einige jener nach einem merkwürdigen von Blake erfundenen
Verfahren ausgeführten „printed-drawings" (aus dem Jahre
1795), bei denen eine noch nicht trockene oder immer wieder
neu aufgefrischte Vorzeichnung in Ol abgedruckt und in
jedem Druck anders in Aquarellfarben aufgefüllt wurde;
endlich eine kleine Auswahl gezeichneter Bildnisse, gra-
phischer Blätter und illustrierter Bücher. Man sollte meinen,
daß hundert Jahre ein genügend langer Abstand wäre, um
eine klare historische Einreihung und Einschätzung eines
Künstlers vornehmen zu können, insbesondere eines Künst-
lers, der mit siebzig Jahren erst gestorben ist, dessen Schaffen
also im wesentlichen den Kunstwillen einer noch älteren
Generation (Pinder) darstellt. Unserer kontinentalen Kritik
erscheint aber diese Einschätzung dennoch schwer — er-
scheint sie schwer, obschon wir doch Runge als eine Art
Parallele besitzen. Vielleicht sollten wir unsere ganz aus
der französischen Malerei, ganz aus der Beobachtung der
malerischen Probleme gewonnene Vorstellung der Kunst des
neunzehnten Jahrhunderts revidieren, vielleicht sollten wir
doch den fertigen Teppich auflösen und neue, einschneidend
andere Fäden ihm einknüpfen.

Die Outsiderstellung Blakes existiert überhaupt nicht,
wenn man dem Künstler auf seiner Insel begegnet. Zwischen
Flaxman und Füßli einerseits und den PrärafFaeliten ander-
seits ist sein Platz gesichert. Er hat Vorfahren und hat
Nachkommen; er hat die unmittelbare Nachfolge in Rich-
mond und in den sechziger Jahren — vor allem durch Ros-
setti — die hochgefeierte Wiedergeburt; von da ab reißt der
Faden nicht ab. In England ist Blake kein Outsider.

Blake entnimmt die Worte, aus denen er seine Sprache
formt, dem Rokoko. Daher die ausgekochten Raffaeltypen,
die rundlichen Engelsgesichter und gütig bärtigen Männer-
köpfe ; aber mit den Romfahrern vom Ende des achtzehnten
Jahthunderts, ohne mit eigenen Augen gesehen zu haben,
macht er die Wendung zu Michelangelo. Auch die Ein-
silbigkeit seiner Farbengebung ist allen seiner Zeit gemein.
Die Wirkung seiner Sätze baut er aus dem Rhythmus; es
ist das kompositionelle Prinzip der primitiven Dichtung, der
Bibel — oder des Ossian, das er hier ausnützt. Du mußt es
dreimal sagen! Es ist wie Zauberbann. Immer wieder laufen
die Parallelen und steigern und übersteigern sich. Das gleiche
Mittel kennt auch David. Frei aus der Erinnerung gestaltet er,
ohne Modelle zu benützen. So hat auch Führich gezeichnet.

Das ist das Rüstzeug, das seine Phantasie braucht. Die
aber gehört nicht auch dem oder jenem, die gehört ihm
allein, dem menschlichen Philosophen, dem mystischen
Dichter. Alles erlebt er neu, alles sieht er mit den im
Morgenrot jung gebadeten Augen, er löst es aus alter Bin-
dung, hebt es heraus zu einzigartigem Sein, weiß vom Ge-
gebenen zurück den Anfang und hinaus das Ende. Das
kleine Jesuskind betet. Es kniet auf seinem Bett und betet
gewissenhaft und brav wie ein anderes englisches Kind, aber
weil es der Sohn Gottes ist, sind die langgewandeten Engel
heruntergestiegen und stehen dabei, sie sind der Himmel
um das Bett; Ausdruck und Eindruck, Erzählung und Orna-
ment. Adam gibt allen Tieren des Paradiesesgartens
Namen. Wo kommt das in der heiligen Schrift vor? Aber
Adam lebt, er ist ein Mensch, er ist da, so muß es füi
ihn auch Morgen und Abend geben, Tun und Lassen; seine
Existenz kann nicht beschränkt bleiben auf Sündenfall und
seine lakonisch aufgezählten Konsequenzen. Zum „Fluß des
Lebens" gehört ein ausführliches Kommentar, es ist die
Illustration des letzten Kapitels der von Blake verfaßten
„Revelation" (XXII. 1 und 2) — wenn man sich nicht be-
gnügt, in der sicheren Freiheit dieser unbeschwerten Wesen
den eigenen Atem stärker zu fühlen.

In diesem Blatt, mehr als in den andern, die die Ab-
bildungen hier zeigen, wird trotz der unmittelbaren Wirkung,
die von den formalen Mitteln ausgeht, die Grenze der Kunst
Blakes fühlbar. Es ist nicht das Illustrative, das sie ein-
engt, sondern das Überillustrarive. Nicht daß er sich hier
an einen Text hielt, den er selbst erdacht, sondern daß
dieser Text zu gedankenschwer ist, als daß er sich in den
Rahmen einer Komposition bildhaft einfangen ließe. Ein
anderer Künstler, der mit Blake gleichzeitig lebte und für
dessen hundertsten Todestag jede spanische Stadt eine so-
lenne Feier vorbereitet, Goya, hat eine verwandte Entwick-
lung genommen. Auch Goya hat die Überfülle der drängen-
den Gesichte, Niegeschautes, nie so wie er es wollte Ge-
schautes ins Bild gebannt, aber sein romanisches Blut hat
ihn davor bewahrt, das Gedankliche über das Sensuelle zu
setzen. Darum konnte auch Goya das Persönlichste unge-
mindert zusammenhalten, auch dann, wenn er ein monumen-
tales Format wählte. Blake wirkt niemals groß, auch wenn
er seine Dämonie in übergewaltige michelangeleske Leiber
einströmen läßt. Er versucht auch nicht die Riesenwand,
er bleibt bei seinem kleinen Blattformat; er möchte wie der
Dichter mit dem Wort nur die Taste anschlagen, die in
unserer eigenen Phantasie den starken Ton erklingen läßt.
So bleibt sein Werk für den unvorbereiteten Beschauer
Fragment. Bleibt Fragment wie das Werk Runges, dem
die Spannung zwischen Absicht und Wirkung den erschüttern-
den Reiz gibt.

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