Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Preetorius, Emil: Vom Künstler und der Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0247
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
VOM KÜNSTLER UND DER KUNST

VON

EMIL PREETORIUS

T^\em Künstler, der sich mit der Kunst eines
fernen fremden Volkes befaßt, der sie liebt
und ihre Erzeugnisse um sich versammelt, mag
wohl der Historiker nicht ohne nachsichtiges
Lächeln bedeuten, daß er, der Künstler, von die-
ser Kunst nur vermeintlich etwas verstehe, in
Wahrheit aber und im eigentlichen Wortsinne
doch nicht bis zum echten Verständnis gelange.
Wisse er doch nichts oder nicht genug von den
mannigfachen Voraussetzungen, aus denen jene
Kunst erstanden sei: Kunstgeschichte sei ein Teil
der Kulturgeschichte, der allgemeinen Geistesge-
schichte. Und nur wer das komplexe Gefüge der
religiösen, geistigen, sozialen, landschaftlichen, zeit-
lichen, rassemäßigen — und wer weiß sonst noch
welcher Bedingtheiten überschaue, als deren je-
weiliger und bei der Fülle dieser Bedingtheiten
einmaliger Kreuzungspunkt das einzelne Werk sich <
darstelle: nur der allein könne diese Kunst auch

223

voll begreifen. Der Künstler aber ist geneigt, dem
also belehrenden Historiker zu erwidern: seine
noch so tiefe, noch so umfassende Kenntnis bringe
ihn doch keinen Schritt näher dem höchst be-
sonderen Tatbestand, Wesensbestand, den das ein-
zelne Kunstwerk repräsentiere. Und wenn der
Künstler gebildet ist und höflich, wird er zwar
gerne zugeben, daß die Kunstgeschichte mit der
Kulturgeschichte eines Volkes durch vielfache Fä-
den verknüpft sei, aber zugleich betonen, daß des
ungeachtet die Kunst eine in sich beschlossene,
also autonome geistige Sphäre, und zwar eine der
Ursphären sei: biologisch bedingter, geistgewor-
dener Ausdrucksdrang, der sich verwirkliche in der
Welt der Erscheinungen, also eine Grundtendenz des
Menschen schlechthin, die an sich unabhängig sei
von Zeit, Volk und Geschichte, unabhängiger von
diesen Mächten als irgendeine der sonstigen großen
menschlichen Lebensäußerungen. Daher rühre es
 
Annotationen