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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 9
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Beenken, Herrmann: Die Hybris der Photographie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0396
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DIE HYBRIS DER PHOTOGRAPHIE

VON

HERRMANN BEENKEN

T Tor einem Dutzend Jahren hätte man die Frage, ob Photo-
" graphie in dem gleichen Sinne Kunst sein könne wie
Malerei oder Graphik, mit einem mitleidigen Achselzucken
erledigt. Nur zu deutlich machte sich der Photograph zum
Affen des Malers, nannte sein Institut, weil er Bildnisse
mit schummrigen Schattensaucen übergoß: Atelier Rembrandt,
schuf gelegentlich widerwärtige Mischformen von Photo-
graphie und Radierung, betonte überhaupt, indem er wenig-
stens mit wuchtigem Namenszuge signierte, Manuelles, Per-
sönliches, und dies alles hieß dann „künstlerische Photo-
graphie". Außerhalb der vier Wände des „Lichtbildkünst-
lers" aber gab sich über den geistigen Rang solchen Trei-
bens wohl niemand ernst zu nehmenden Zweifeln hin.

Inzwischen ist die Photographie „sachlich" geworden,
und eine gewisse Richtung der modernen Kunst ist es auch.
Die Kunst selber hat sich der Photographie angenähert, es
gibt — vor kurzem noch unerhört — einen nicht zu leug-
nenden Einfluß von Photographie auf Malerei. Die Photo-
graphie ihrerseits hat einen erstaunlichen Vorstoß in die
Sphäre der bildenden Kunst unternommen, indem sie den
Bereich des für sie Bildwürdigen auf das umfassendste aus-
dehnte, wobei mit der Erweiterung ihres Gegenstandsgebietes
zugleich das gegenständliche Interesse als solches vielfach
hinter dem ästhetischen in neuer Weise zurücktrat. Der
Formwert der Sachen, des Alltäglichen, Unscheinbaren, das
war es, was den Kameramann plötzlich fesselte; ihn zu
erfassen aber bedurfte es eines Auges, das ästhetischem
Formverhalten zugewandt, das künstlerisch zu wählen im-
stande war. Qualitätsunterschiede zwischen Bild und Bild
traten sehr bald an den Tag, bestimmte Photographen-
persönlichkeiten wußten von sich reden zu machen, solche,
die sicher auch den Durchschnitt ihrer Handwerksgenossen
weit überragten, und so entstand auch der Geltungsanspruch,
Photographie sei etwas wie Kunst. Zuletzt hat diesen An-
spruch ein Kunsthistoriker und Kunstschriftsteller von nicht
zu unterschätzenden Qualitäten, Franz Roh*, theoretisch
vertreten.

Es ist heute nötig, sich mit den tief wurzelnden Miß-
verständnissen auseinanderzusetzen, die diesem Anspruch
zugrundeliegen. Zunächst aber gilt es, jene neue Bewertung
des photographisch erzeugten Bildes als Faktum und Zeug-
nis für einen Wandel des Kunstwollens im Zusammenhange
mit anderen Erscheinungen der Gegenwartskunst kunsthisto-
risch ganz zu begreifen. Wir stehen vor der unbestreitbaren
Tatsache, daß das optische Phänomen, ganz gleich ob „gegen-
ständlicher" oder „ungegenständlicher" Art, einen Bildwert
bekommen hat. Schon der Impressionismus hatte sich am
Gegenstande als solchen in hohem Grade desinteressiert er-
klärt. Liebermanns Höherbewertung des gut bemalten Spar-
gelbündels im Vergleich mit der schlecht gemalten Madonna
war deutlichstes Zeichen hierfür, und der Gegensatz dieser
Anschauung gegen die von der Würde des Gegenstandes

* In der Einleitung: „mcchanismus und ausdruck" zu dem Bilder-
bande: foto-auge, 76 fotos der Zeit, zusammengestellt von franz roh
und jan tschichold, im akademischen verlag dr. fritz wedekind, Stuttgart .

tief durchdrungene Kunstauffassung des Klassizismus war
ganz offenbar und bewußt. Für die impressionistische Ein-
stellung war das Wertgebende das Persönliche, die Auf-
fassungs- und Darstellungsweise des Malers, und diese wurde
auch noch im Expressionismus, der vielfach ja geradezu
eine Hypertrophie des Subjektiven darstellt, auf das stärkste
betont. Die Wandlung, die wir in den letzten zehn Jahren
erlebten, lag nun darin, daß man dieses Subjektive, Persön-
liche in ganz eigentümlicher Weise von den objektiven
künstlerischen Verwirklichungen wieder abzuziehen begann,
daß man zum mindesten seine ausdrückliche Betonung ver-
mied. Die Wandlung Kandinskys — wobei das Problem,
ob und wie weit dieser Maler als Künstler gelten darf, un-
erörtert sei — läßt die allgemeinere Umstellung besonders
deutlich erkennen: Alles, was um 1914 Handschrift, also
unmittelbarer Ausfluß des Innerseelischen, Persönlichen war,
ist um 1924 gelöscht. Zirkel und Lineal werden zu Instru-
menten des Malers, mit ihnen wird die neue Formumgren-
zung geschaffen. Und der Konstruktivismus der Jüngeren,
von denen ein Moholy-Nagy und ein El Lissitzky immer-
hin zu beachten sind, hat dann ganz sachlich und schlicht
das ästhetische und das künstlerische Problem gleichsam
auf den Experimentiertisch gelegt. Farbige Flächen, so
oder so geordnet, oft in interessanter und nie gesehener
Weise irrational-räumlich einander überschichtend oder vor
lackierten Schwarzhintergründen in geheimnisvoller Schwebe
befindlich, das war nun Bild. Diese Maler aber gehörten
auch zu den ersten, die ihr Augenmerk der Photographie
zuwandten. Und zwar in gleicher Weise — das ist bezeich-
nend — der gegenständlich orientierten wie dem abstrakten
Photogramm.

Mit dem Aufkommen des Photogramms wurden auch
die photographische Platte, das photographische Papier als
mögliche Träger mehr oder weniger abstrakter räumlicher
und formaler Bildwirkungen und irreal-magischen Stim-
mungsgehaltes erkannt. Welche Überraschungen erlebte man
nicht schon beim Übereinanderaufnehmen und Übereinander-
kopieren! Das war genau jene irrational das Nahe und
Ferne verflechtende, alles ins Ungreifbare, Imaginäre ver-
rückende Räumlichkeit, die zuerst in gewissen expressio-
nistischen und kubistischen Bildern beglückend entgegen-
getreten war. Daß man diese Reize zu sehen, in bisher
als bloßes Abfallsprodukt Betrachtetem einen optischen
Wert und zugleich auch einen bestimmten geistigen Aus-
drucksgehalt zu erkennen begann, war die fruchtbare Folge
eines Vordringens echter Kunst selber zu neuen Seh- und For-
mungsmöglichkeiten gewesen. Es war auch nicht einzu-
sehen, warum man das Entstehen solcher photographischer
Bildwirkungen dem bloßen Zufall überlassen, warum man
nicht nachhelfen sollte, um ästhetisch Eindrucksvolles und
Interessantes zu schaffen. Eine völlig andere Frage aber ist
es, ob man auf diesem Wege etwas wie Kunst zu schaffen
vermochte.

Zu diesen auf Realisierung abstrakter Formverhalte ge-
richteten Tendenzen der neuen Kunst steht „die neue Sach-

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