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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 30.1931

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Heft 2
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Tietze, Hans: Wiener Kunstherbst
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Eckstein, Hans: Münchner Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7612#0078
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WIENER KUNSTHERBST

VON

HAN S TIETZE

Im Wechsel trostloser Novemberstimmung und sich auf-
raffenden Sommerendes beginnt ein neues Kunstjahr; die
Früchte, die es anbietet, sind überreif und herb, fast alle
vom Gift der Zeit irgendwie angestochen.

Franz Barwig
Diese trübe Grundstimmung nährt die Kollektivausstellung,
die die Secession zum Gedächtnis des im Frühling aus dem
Leben geschiedenen Bildhauers Franz Barwig in den Mittel-
punkt ihrer Herbstausstellung gestellt hat. Eine Fülle von
Plastiken aller Größen und Materialien bezeugt eine uner-
müdliche Hingabe an die Arbeit. In die Klage über den Zu-
sammenbruch des Alternden und Kränkelnden mischt sich
Anklage gegen eine Zeit, die keinen Platz für einen Künstler
dieser Art hat. Barwig war ein Kunsthandwerker im edelsten
Sinn; seine Hand schmeichelte dem Stein, der Bronze, vor
allem dem Holz seine StofFwerte ab. Was er daraus bildete,
war ein Schmuck; Schmuck eines Baus oder Innenraums,
Schmuck eines Heiterkeit und schöne Form genießenden
Daseins. Aus dieser äußeren und inneren Vorraussetzung ge-
löst, werden die Bildwerke — vornehmlich die großen —
arm und spannungslos; sie können nicht aus eigener Kraft
bestehen und die Krise hat ihnen die Luft genommen, von
der sie lebten. Sie hat zu bloßer Geschicklichkeit gemacht,
was vordem Ausdruck geistigen Bedürfnisses gewesen war.
Barwig war zu tief Künstler, diese Entwertung ertragen zu
können.

Fritz Wotruba
Dem Geschiedenen stellt die Secession einen Aufkom-
menden gegenüber, Fritz Wotruba, dessen Sonderausstellung
im Folkwang-Museum in Essen vor kurzem Aufmerksamkeit
erregt hat. Auch dieser junge Österreicher denkt im Material
— mehr als irgendeiner unserer Zeit —, aber nicht um des-
sen Stofflichkeit, sondern um dessen Form zu erwecken. Er
beschwört den Geist von Stein oder Erz; in den Arbeiten,
die ein paar Monate zurückliegen, hat ihn dieser aufgerufene
Geist noch unterworfen, in der neuen, zweieinhalb Meter
großen Liegefigur eines Mädchens beginnt der Künstler frei
zu werden. Der Schritt nach vorwärts ist ein erstaunlicher
und bestätigt das Zutrauen in diese sich durchsetzende Kraft;
elementare Vitalität sucht ihren Weg.

Georg Merkel
Kann das Dasein soviel Lebenswillen brechen? Im Saal,
den die Secession dem fünfzigjährigen Georg Merkel ein-
geräumt hat, steht ein Märtyrer seiner Überzeugung; ein
Fanatiker versteigt sich auf dornigem Pfade in immer rei-
nere, immer kühlere Höhe. Merkel hat alles preisgegeben,
was ihm zum Erfolg helfen könnte; Sinnlichkeit, Anmut,
Abwechslung —■ Gaben, die ihm geschenkt waren —, um dem
Gesetz zu dienen. Die Ausgewogenheit des Aufbaus, die
Richtigkeit der farbigen Harmonie sind die ausschließlichen
Ziele seiner wütenden Arbeit, die unbeirrt der Erfolglosig-
keit die Eigengesetzlichkeit der Kunst entgegenstellt; Dauer
und Steigerung dieser dramatischen Spannung verleihen die-
ser überfeinerten Kunst die qualvolle Süße einer Sphären-
musik.

Richard Gerstl
Die Neue Galerie hat einen merkwürdigen Fund gemacht.
Sie bringt das Werk eines Malers, der 1908 fünfundzwanzig-
jährig seinem Leben ein Ende bereitet hat und dessen Bil-
der, die der Lebende niemals ausgestellt hatte, auch nach
seinem Tod bis heute völlig unzugänglich geblieben sind.
Der Fall des unbekannren Genies, den wir prinzipiell zu
leugnen pflegen, liegt hier vor; denn diese Bilder verraten
neben der übermäßigen Aufnahmefähigkeit eines Hochbe-
gabten — der sich mit den mächtigen Eindrücken von
van Gogh, Münch, Goya herumschlägt — eine koloristische
Freiheit, wie sie in der Wiener Malerei ohne Beispiel ist;
seine Probleme sind etwa die von Corinth und Münch zu
jener Zeit, aber auch noch später. Dieses Verbrausen einer
Lebensfülle in der Konzentration eines Todgeweihten hat
etwas Faszinierendes und Erschütterndes; und neben dem
psychologischen Problem lockt ein ebenso anziehendes histo-
risches. Dieser Unbekannte, den jetzt der Scheinwerfer sen-
sationeller Entdeckung in grelles Licht tauchen wird, war
bei aller krankhafter Genialität ein Ende, nicht ein Anfang,
ein Erbe, nicht ein Bahnbrecher; er hat nichts von der Phy-
siognomie des jungen Kokoschka und dessen Generation.
Zwischen dem Jahrgang 1883, dem Gerstl angehört, und
dem Jahrgang 1886 Kokoschkas und der Seinen liegt der
tiefe Riß; wahrscheinlich ist es ein Teil des Konflikts, an
dem Gerstl starb, daß er sich jenseits stehen wußte.

MÜNCHENER AUSSTELLUNGEN

VO N

HANS ECKSTEIN

Die Ludwigsgalerie (Otto H. Nathan) macht die von ihr
erworbene Sammlung des 1924 verstorbenen norwe-
gischen Malers Bernt Grönvold zum letzten Male in ihrem
gesamten Bestände der Öffentlichkeit zugänglich. Die 38 Ge-
mälde und 24 Zeichnungen des von Grönvold in den neun-

ziger Jahren entdeckten Friedrich Wasmann, für den die
Jahrhundert-Ausstellung 1906 die erste, seitdem nicht
wieder erloschene allgemeine Anerkennung brachte, stehen
im Vordergrund des Interesses. Wasmanns hinterlassenes
Werk ist als Ganzes gewiß keine Erfüllung seines ungemeinen

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