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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 1 und 2
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Heft 3
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Seewald, Richard: Über die Möglichkeit der religiösen Malerei in unseren Tagen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0102

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Über die Möglichkeit der religiösen Malerei
in unseren Tagen

von RICHARD SEEWALD

Wer immer sich heute um die Malerei kümmert, sei es, daß er beruflich
als Kritiker oder Kunstgelehrter darüber zu schreiben habe, sei es, daß er
sich als Liebhaber mit ihr befasse, er wird als erstes davon sprechen, daß
die Kunst sich in einer Krise befinde.

Wer weder aus Beruf noch Neigung sich um sie kümmern muß, erklärt
mit einem Achselzucken, daß in unserer Zeit kein Platz für sie sei, und
wenn er durch Zufall in eine unserer großen Ausstellungen gerät, dann
wird seine Meinung dadurch bestätigt, daß er von einem Teil der Bilder
feststellen muß, er verstehe sie nicht, und von anderen, sie langweilten ihn.
Wenn aber die Maler zu mehreren versammelt sind, so weiß ich, daß
eine tiefe Mutlosigkeit alsbald um sich greift, wenn im Ernst über Malerei
gesprochen wird. Auf aller Lippen scheint der Satz Thackerays zu schweben:
„Wir können alles ausdrücken, leider haben wir nichts auszudrücken."
Es ist also eine Krise des Was, nicht des Wie.

Die uns vorausgehende Kunstperiode, die wir als Impressionismus bezeich-
nen, hatte es darin leicht. Sie war die große Kunstäußerung einer ein-
deutig materialistisch gerichteten Zeit. Beschäftigte diese sich in ihrer
Dichtung, ihrer Philosophie, ihrer Wissenschaft mit den realen Dingen,
so konnte das der Malerei nur recht sein.

Anders steht es mit uns. Wurde nicht mit Posaunenschall unsere neue
Kunst begrüßt, weil sie endlich den Gegenstand überwände, entschlossen
darauf ausging, das zu malen, was hinter den Dingen sei: „Das Metaphy-
sische", „das Göttliche"? Man suchte und fand Anregung und Bestätigung
in Zeiten und Kulturen, von denen man wollte, daß sie der unseren
parallel gerichtet seien, da auch sie mit teilweiser Opferung des Gegen-
ständlichen „das Göttliche", „das Metaphysische" darzustellen suchten. Warum
ist es nun so still geworden? Warum schweigen die Fanfaren außer jenen
Kindertrompeten, die unentwegte „Progressive" blasen?
Alle wissen es heute, Kluge und Dumme: die Kunst befindet sich in einer
Krise. Aber wie kam sie dahinein und vor allem, wie kommt sie wieder
heraus? Auch das wissen heute bereits Kluge und Dumme: Sie kam hinein,
weil ihr „das Kollektive" fehlte, sie kommt heraus, wenn sie „das Kollektive"
haben wird. Und danach ist nun jedermann auf der Suche.
Die angezogenen Parallelen und Bestätigungen, die man in den oben er-
wähnten Zeiten und Kulturen fand, erwiesen sich nämlich sehr schnell
als falsch, oder als sehr ungefähr. Es waren die Gotik, die romanische

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