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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 1 und 2
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Heft 3
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Seewald, Richard: Über die Möglichkeit der religiösen Malerei in unseren Tagen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0108

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Aber wir haben uns ja vorgenommen, die Möglichkeiten zu untersuchen,
ob aus dieser Welt Kunst hervorgehen kann; und daß diese nicht da ist,
ist uns mehr ein Ansporn als ein Hindernis, denn ist nicht unser aller
Wunsch, Neuland zu entdecken, die ersten zu sein, die den Fuß auf neue
Erde setzen?

Vorhanden ist eine Gemeinschaft, das ist nicht zu leugnen. Wer zur Stunde
der Messe in Städten und Dörfern eine Kirche betritt, wird finden, daß
sie bis zum letzten Platz gefüllt ist, ja er stellt fest, daß es nötig ist, neue
Kirchen zu bauen, nicht als propaganda fidei, sondern aus Bedürfnis.
Wir finden also eine Gemeinde, die das Was auf unseren Bildern sofort
versteht; das Wie kann nur allein unsere Sorge sein. Und mehr, wir fin-
den ein weites Gerüst, aufzunehmen unsere grünenden Ranken, das schon
einmal trug die zärtlichen Zweige Fra Angelicos und den wildwuchern-
den Stamm des Grünewald, und daß uns heute neu bereitet wird von
Männern wie Haecker und Jacques Maritain, einem Freunde Cocteaus
und Picassos.

Hier ist Platz für das Bildnis: Es ist Zeit, daß die Heiligen und die han-
delnden Personen der heiligen Geschichte wieder menschliche Antlitze be-
kommen; hier ist Platz für die Landschaft: tragisch beleuchtet, als der
Vorhang im Tempel zerriß, und abendlich still, als die Jünger nachEmmaus
gingen, Platz für das Lamm, das wegnimmt der Welt Sünde, und für den
Ochs und den Esel, Platz auch für das Stilleben auf dem Tisch der heiligen
Familie oder die dickbäuchigen Weinkrüge auf der Hochzeit zu Kanaa.
Schon schrieb uns Maritain eine gültige Ästhetik in „Art et Scolastique".
Darin steht der Satz Fra Angelicos: „Pour peindrc les choses du Christ
il faut vivre avec le Christ" — aber, fährt das ganze Buch mit Nachdruck
fort, zuerst muß man natürlich ein Maler sein.

Die Maler sind da; wenn die Kirche wollte, kann sie sie rufen. Unsere
Aufgabe wird es sein, auch den ersten Teil des Satzes zu erfüllen. Da
wir stets da zu stehen pflegen, wo die wenigen sind, ist es der Mühe
wert, es zu versuchen.

Anmerkung der Redaktion: Wir fügen diesen sehr ernsten und eindringlichen Aus-
führungen Richard Seewalds nichts Grundsätzliches hinzu, obwohl wir, in den Feststel-
lungen der Lage zustimmend, anders folgern möchten. Wir drucken nur noch eine Stelle
aus dem Begleitbrief des Malers ab, weil sie in aller Kürze auch ein helles Licht wirft
auf die hier in den letzten Heften behandelten Fragen der Kunsthochschulen und der
Kunstausstellungen. Seewald schreibt: „Der Artikel ist eigentlich der Niederschlag meiner
siebenjährigen Lehrtätigkeit (die ich, wie Sie vielleicht wissen, im vergangenen Sommer
niedergelegt habe, um mich ganz hier meiner Arbeit zu widmen) und die mir gezeigt
hat, daß man nur allzuoft den jungen Menschen Steine statt Brot geben mußte, wenn
sie mit ihren Sorgen zu einem kamen, die in weit größerer Zahl das Was der Malerei
als das Wie betreffen. Die zweite Veranlassung zu ihm ist die niederdrückende Erfah-
rung als Juror bei den großen Ausstellungen der letzten Jahre, deren Sinnlosigkeit allen
evident ist, und die wir doch nicht aufgeben können, weil wir nichts Besseres wissen."

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