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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 10
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Wie Faschisten die Kunst sehen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0404
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Wie Faschisten die Kunst sehen

Eine Gruppe italienischer Maler stellte vor einiger Zeit in Prag aus. Bei diesem Anlaß
hielt Carlo Carrä, der in Italien als Führer gilt, einen Vortrag. Wir teilen einige Auszüge
mit, um zu zeigen, wie sich das Problem der modernen Kunst den Italienern und dem
Faschismus zurzeit darstellt:

„Den Zuhörern, die meine Worte vielleicht alltäglich finden werden, möchte ich sagen,
daß ich mir gar nicht vorgenommen habe, originell zu sein. Von originellen Leuten
wimmelt es überall, und nach Originalität streben gerade die für neue Bestrebungen
scheinbar empfänglichsten Künstler. Doch dieses Streben stammt nur aus der geistigen
Unruhe, die heute herrscht. Sie hat vielerlei Ursachen und kann nicht bloß auf das wirt-
schaftliche Unbehagen — so sehr alle Gesellschaftsschichten unter wirtschaftlichen Sorgen
leiden — zurückgeführt werden. Die wahre Ursache ist, daß dem Künstler heute ein
Ziel, ein schöpferischer Grundgedanke fehlt, wenn es auch selbstverständlich Aus-
nahmen gibt.

Wer in diesem Trubel die Kunst nun überhaupt verneint, verrät einen billigen, unbe-
dachten Pessimismus. Dahin sind einige Intellektuelle gelangt; sie munkeln, die Künste
wären verdammt, von der Erdoberfläche Zu verschwinden. Wir dagegen fassen unsere
Zeit als eine Art Mittelalter, ähnlich etwa der Zeit vor Dante, auf. Das heißt, unsere
Zeit erscheint uns wie ein Vorspiel vor der Entstehung neuer menschlicher und künst-
lerischer Wertsetzungen. Der Mensch sucht einen neuen Einklang von Geist und Leben.
Wenn es sich so verhält, würde die Unruhe nur beweisen, daß wir im Begriffe sind,
ein neues männliches Zeitalter zu betreten.

Für Italien steht es fest, daß die jetzt gereifte neue Generation die künstlerischen
Werte höher schätzt, als die vorhergehende, daß sie also das Leben tiefer empfindet.
Gewiß gibt es Leute, die darin eine Gefahr der Übertreibung wittern und meinen, daß
den neuen Geschlechtern zu schwere Aufgaben Zugemutet werden. Sie verwechseln den
Schein mit dem Inhalt. So mißverstehen sie, zum Beispiel, den von der faschistischen
Lehre der Männlichkeit geschaffenen Mythus der Jugend. Dem Mythus der Jugend fügen
sie vorwurfsvoll den Mythus der physischen Kraft hinzu, während wir darin den zum
Begriff der Männlichkeit notwendigen Anstoß erblicken.

Bei den besten italienischen Künstlern erkennen wir das Streben nach einer ausge-
sprochen männlichen Kunst. Die vorhergehende Generation dagegen pflegte eine auf
das Süßliche eingestellte Kunst, die man als feminin bezeichnen darf. Für uns gelten
die für das neunzehnte Jahrhundert bezeichnende Auffassung und der regellose ästhetische
Individualismus als überwunden. Das gilt in Italien nicht nur für die Künste. Es ent-
steht der Staat als regelnde Macht und als höherer Ausdruck nationaler Notwendigkeiten,
ein moderner Staat, der mit Staatssozialismus nichts gemeinsam hat. Geistige Epochen
sind im BegrifF, sich zu zersetzen, neue wollen sich bilden. Die moderne Malerei hat
Jahre verbraucht mit einer peinlichen Analyse der Naturerscheinungen nordischen Ur-
sprungs; heute drängt sie nach einer höheren geistigen Synthese. Mancher meint, daß
man dazu das Naturstudium ablehnen und von der Einbildungskraft des Künstlers aus-
gehen müsse. Ich glaube, daß die bildende Kunst zwar den Realismus überwinden muß,
daß sie aber nicht nur auf die Einbildungskraft beschränkt bleiben darf. Kunst und
Natur sind unzertrennbar. Ist die Malerei nicht einfach das Ideal eines Gedankens, der
beim Denken über sichtbare Dinge entstand? Plato war gewiß kein Materialist, und
doch schrieb er in seiner Republik dem Maler eine vorwiegend reproduzierende Tätig-
keit vor."

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