Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 32.1933

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Scheffler, Karl: Zehn Jahrhunderte deutscher Kunst, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7617#0136
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zehn Jahrhunderte deutscher Kunst

von KARL SCHEFFLE R

I. Teil: Bis zum Beginn der Gotik

Man sagt allgemein: deutsche Kunst, italienische Kunst, französische Kunst.
Bei dieser Sprachgewohnheit mag es bleiben; richtiger aber wäre es,
zu sagen: die Kunst der Deutschen, der Italiener, der Franzosen. Denn
in dieser Form käme besser zum Ausdruck, daß die Kunst eine Grund-
tatsache der menschlichen Seele ist, mit der sich jedes Volk in besonderer
Art auseinanderzusetzen hat. Eine Betrachtung der deutschen Kunst han-
delt also nicht vom Wesen der Kunst an sich — dieses wird vorausge-
setzt _, sondern davon, wie sich die Deutschen im Verlanr ihrer Ge-
schichte zur Kunst verhalten haben.

Bei dieser Betrachtung darf man nicht außer acht lassen, daß deutsche
Kunst von jeher eine Blüte am Baum der europäischen Kunst war, daß
Deutsches und Europäisches sich immer wechselwcis durchdrungen, daß
alle Stile nationale Grenzen unbedenklich übersprungen haben. Das Ro-
manische war ein allgemein kirchlicher Stil, die Gotik herrschte in Italien,
Frankreich und England wie in Deutschland, die Weltanschauungen der
Renaissance und des Barock waren europäisch, so national verschieden
die Ausprägungen sich auch gestalteten, und der Klassizismus war eine
Angelegenheit europäischer Kunstbildung und Kultursehnsucht. Die Wechsel-
wirkungen von nationalen und europäischen Impulsen werden in Deutsch-
land besonders deutlich, weil Deutschland in Europa das Land der Mitte
ist, rings umgeben von fremdem Gebiet und bewohnt von einer viel lach
gemischten Bevölkerung.

Aus Selbsterhaltungstrieb mußte darum aber auch ein Drang erstarken,
die aus der Fremde, über die offenen Grenzen im Westen und Süden
zuströmenden EinHüsse eigentümlich zu verarbeiten. Als Folge dieses
Dranges ergab sich, psychologisch leicht erklärbar, ein Hang zum Ab-
sonderlichen. Aus dem Prozeß einer eigenwilligen Selbstbehauptung bei
großer Aufnahmefreudigkeit erklärt sich das viellach Verschnörkelte, ja
Manieristische der deutschen Kunst, das neben dem Streben zur großen
einlachen Form immer wieder nachweisbar ist. Hier sind auch die Wurzeln
eines unüberwindlichen Dualismus. Ganz eigentümlich ist den Deutschen
ein Kunstelemcnt, das man gotisch-barock nennen könnte; daneben ist
stets aber auch eine Sehnsucht nach dem Griechischen, Romanischen,
nach dem Klassischen einhergegangen. Das deutsche Kunstgefühl schwankte
beständig zwischen der abstrakten und der von der Natur abgeleiteten

Anmerkung der Redaktion: Die Vorlagen der Abbildungen verdanken wir dem
Deutschen Bildarchiv, Berlin.

1 22
 
Annotationen