Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 32.1933

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Göpel, Erhard: Graphikmarkt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7617#0252
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Graphikmarkt

von ERHARD GÖPEL

Es sei erlaubt, in dieser letzten Notiz über den Graphikmarkt an dieser Stelle, anstatt
über die verhängte Lage und die Anzeichen neuer Entwicklungen in Ungewisser Zukunft
zu berichten, einmal von den Menschen zu sprechen, die auf diesem zugleich engen
und weiten Gebiet Träger des Lebens waren. Hinter den Preisen, die sie zahlten, den
Katalogen, die sie herausgaben, und den Sammlungen, die sie anlegten, traten sie selbst
zurück. Ihre Arbeit leisteten sie mit den Augen und mehr als einen der Veteranen des
Gebietes betrog dies allzu intensive Schauen um die schönste Freude seines Alters, einen
Kupferstich still genießend in Händen zu halten und ungetrübten Auges zu betrachten.
Ihrer Natur nach sind sie alle Fanatiker des Originals, obwohl ihre Aufmerksamkeit
schon einer Wiedergabe durch das Mittel des Druckes gilt. Was sie fürchten, ist die
täuschende Reproduktion, die um ein Haar dem Eindruck des Originals gleichkommt
und ihn doch verfälscht. In den wahren Kennern des Gebietes, die in jahrzehntelanger
Schulung ihren Blick entwickelt haben, lebt ein untrüglicher Instinkt, der nicht nur
unter originale Drucke gemischte Reproduktionen ablehnt, sondern auch auf einem
echten Stich die mit hochentwickeltem Können eingezeichneten Ergänzungen erkennt. In
diese Bruderschaft des Auges wird, ohne nach Stand und Nation zu fragen, Sammler,
Händler und Kunstgelehrter gleich geachtet aufgenommen.

In dem Studio eines jeden wird die geistige Welt dieser Loge in den Büchern, den
Mappenschränken und den Stichen an den Wänden sichtbar; eine eigene Welt, die diese
Menschen auch im Versteigerungssaal nicht verläßt, wenn sie Kopf an Kopf sich um
den Hufeisentisch der großen Graphikauktionen gruppiert haben.

In der Erinnerung sitzt rechts, dem Versteigerer am nächsten, noch immer in seiner
Eigenschaft als Leiter des Berliner Kupferstichkabinetts Elfried Bock (t 1933)- In stiller
Aufmerksamkeit erwartet er seinen Augenblick, zu dem er zäh bietend den Zuschlag für
das Kabinett auch gegen den hartnäckigsten Bieter durchzusetzen pflegte. „Ich weiß,
daß ich das Blatt in meinem Leben nicht wieder sehen werde", antwortete er im letzten
Herbst auf eine Bemerkung über den zu hohen Preis für eine Erwerbung! Niemand
ahnte, wie prophetisch das Wort war, man nahm es als die kontrollierte Summe seiner
graphischen Erfahrung hin, als ein sicheres Ergebnis des guten Bildgedächtnisses, das
in seiner Verfeinerung in die vielfachen Individuen der einzelnen Abzüge den Graphik-
kenner vor dem Zeichnungs- und Bilderkenner auszeichnet. Der Vorwurf, daß hier Tat-
sachenkenntnis und Suchen nach neuen Tatsachen das tiefe Kunstempfinden überwuchere
und der Schöpfer des Werkes vergessen sei, trifft diese Männer — weibliche Kenner
gibt es auf diesem Gebiet noch weniger als auf anderen — nicht. Denn sie sind ständig
auf ihrem Gebiet auf der Suche nach dem vollkommenen Kunstwerk, dem schönsten,
den innersten Absichten des Künstlers entsprechenden Druck, dem tadellosen Exemplar,
auf dem die Linien plastisch gegen den klaren Grund des unberührt weißen Papieres
stehen. Jeder neu auftauchende Druck eines graphischen Hauptblattes ist schon deshalb
des Interesses aller sicher. Noch für den wirtschaftlichen Erfolg des Händlers ist das tiefe
künstlerische Einfühlungsvermögen in seinem Grenzland zwischen Kunst und Wirtschaft
unerläßliche Voraussetzung.

Sie wissen alle vor den großen Meisterwerken, den Kupferstichen Dürers und den Ra-
dierungen Rembrandts zu schweigen und alles stolze Wissen demütig abzulegen, und
noch in den schwindelnd hohen Preisen, von denen hier so oft berichtet wurde, drückt
sich die Ehrfurcht einer vom Wert des Geldes überzeugten Zeit gegenüber der unnach-
ahmlichen künstlerischen Hinterlassenschaft des wirkenden Genius aus.

238
 
Annotationen