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3. Das Landhaus als Zeitvertreib
Die Bourbonen in Saint-Cloud, Chantilly und Choisy

»Comme il est important au public de n'etre gouverne que par un
seul, il lui est important aussi que celui qui fait cette fonction soit eleve
de teile sorte audessus des autres, qu'il n'y ait personne qu'il puisse ni
confondre ni comparer avec lui.«1

Saint-Cloud

Das mit Versailles entstehende und von dort ausgehende
System der Convenancen sollte sich auf die Verwandten des
Königs, die Fils de France und die Princes de Sang, und ihre
Bauten besonders auswirken. Für niemanden aber galt das
Gebot, die Unverwechselbarkeit und Unvergleichlichkeit des
Königs zu wahren, so sehr wie für Philippe d'Orleans, »frere
unique du Roi«. Seine »Maison«, St. Cloud, lag an der ersten
Seineschleife westlich von Paris auf dem dort steilen Westufer
des Flusses. (Abb. 11)

Ein Vergleich von Versailles und St. Cloud wird in der zeit-
genössischen Guidenliteratur nur einmal gewagt. 1681
erschien unter dem Pseudonym »Le Sieur Combes«, hinter
dem sich Laurent Morelet, Aumönier von Philippe d'Orleans
verbarg,2 die »Explication historique de ce qu'il y a de plus re-
marquable dans la maison royale de Versailles. Et en celle de
Monsieur ä Saint Cloud«. Gleich zu Beginn des Textes, wobei
er sein Urteil mit dem von Autoritäten, von Connaisseurs,
absichert, nennt Combes-Morelet das doppelte Konkurrenz-
verhältnis, in dem französische Schlösser seiner Zeit stehen:
den Wettbewerb mit Italien und den Wettbewerb unter-
einander.

»Plusieurs personnes tres habiles en l'Architecture, Peinture et
Sculpture, qui ont veu les plus süperbes edifices qui sont en Italie,
laquelle surpasse tous les autres Royaumes, dans la magnificence des
Bätimens, ont avoüe que Versailles tient le premier rang de toutes les
Maisons Royales de Campagne, qui sont aujourd'huy en reputation
dans le Monde; et ils ont compare les Maisons Royales de Versailles et
S. Cloud ä deux Soeurs, dont les beautez sont differentes, et de qui l'on
dit, l'ainee est la plus belle, mais la cadette a meilleur air.«3

Combes-Morelet ist als Angehöriger der Maison de Monsieur
selbstverständlich Partei: Man muß nicht einmal Äußerungen
zum entscheidenden Anteil der Anmut (meilleur air) am Gelin-
gen eines Werks von regelhafter Schönheit heranziehen,4 um
ihm sein Urteil zugunsten von St. Cloud nachzuweisen; denn
Versailles erhält den Schönheitspreis nur als Maison Royale de
Campagne und ist damit von vornherein in Frankreich außer
Konkurrenz.

Blickt man auf den Stand im dennoch stattfindenden Wett-
bewerb der beiden Brüder und Schwestern, wird man Combes'
nur verklausuliert vorgetragenem Urteil für das Jahr 1681
zustimmen. Zu diesem Zeitpunkt lag St. Cloud im Rennen um
die Vollendung einer Maison de Campagne königlichen
Anspruchs in entscheidenden Punkten vorn. Während Versail-
les wieder einmal zur Baustelle wurde und nach der letzten
Planänderung die Grands Appartements mit den Planetensälen
nicht in ihrer ursprünglichen Form ausgeführt, statt dessen die
Spiegelgalerie geplant, gebaut und dekoriert wurde, wobei Ver-
sailles endgültig den Charakter einer Maison de plaisance ver-
lor, war St. Cloud fertiggestellt. Die Grands Appartements
waren möbliert, die große Dekoration der Galerie und der
angrenzenden Salons durch Mignard war abgeschlossen,5 und
im Frühjahr 1681 sollte Monsieur sogar seinen Bruder mitsamt
dem ganzen Hof acht Tage in St. Cloud beherbergen können,
während dessen Residenzen St. Germain-en-Laye und Versail-
les aufgrund der Bauarbeiten unbewohnbar waren.6 Bis zu die-
sem nur kurzfristigen Triumph Monsieurs war es ein langer
Weg gewesen, auf dem, auch wenn sich am Schluß das Ver-
hältnis einmal umkehrte, Versailles die ältere, d.h. die
vorbildgebende Schwester für St. Cloud war.

Philippe d'Orleans besaß als jüngerer Königssohn keinerlei
eigene Einkünfte. Sein Einkommen - nach seiner Heirat 1661
bei 1212000 livres jährlich - setzte sich zum größten Teil aus
Pensionen und besonderen Zuwendungen zusammen, die er
vom König erhielt, um das standesgemäßes Leben führen zu
können, das dem glanzvollen Bild des Bourbonenhauses nicht
abträglich war. Nur etwa 14% des Einkommens bestanden in
Erträgen der Apanage, u.a. des Herzogtums Orleans und
angrenzender Gebiete, über die Monsieur frei verfügte, die
aber ebenfalls der Krone gehörten.7 Philippe d'Orleans besaß
zunächst keinen eigenen Wohnort, weder auf dem Land noch in
der Stadt. Als Mazarin 1658 befand, Monsieur brauche eine
»Maison«, als er darauf St. Cloud für geeignet hielt und den
damaligen Besitzer, den Bankier Barthelemy Hervart, zum
Verkauf nötigte, dürfte das Geld zum Erwerb der Domäne aus
dem Fonds der Krone gekommen sein.8 In ähnlicher Weise
wurde 1661 - anläßlich der Hochzeit des Prinzen mit Henriette
von England - das Palais Royal aus dem Erbe Richelieus Mon-
sieur als Stadthaus zur Verfügung gestellt, wobei die zum
Unterhalt der Gebäude nötigen Arbeiten weiter aus dem Etat
der Bätiments du Roi bezahlt wurden.9 Sogar der Bau von St.
Cloud wurde nicht nur durch das regelmäßige, Monsieur von
Seiten der Krone zufließende Einkommen finanziert, sondern
1680 auch durch ein Brevet Ludwigs XIV. über 600000 livres,
 
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