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9. Schluß

In der Nachfolge von Voltaires »Siecle de Louis XIV« besteht
bis heute weitgehend Einigkeit, daß der König die dominie-
rende Persönlichkeit im Frankreich der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts gewesen sei. Nicht allein die erheblichen Verluste
an Bausubstanz, Sammlungen und Archiven, sondern vor
allem diese Überzeugung haben die Bauten und Garten-
anlagen, die von Hofleuten und Städtern meist mit Billigung
des Königs unternommen wurden, nahezu vollständig aus dem
Blick geraten lassen. Es galt hier keineswegs, die Wirkungen
der königlichen Kunstpolitik in ihrer Bedeutung zu schmälern,
sondern sie vielmehr in den Reaktionen derjenigen Bauherren
und Besitzer von Landhäusern aufzuzeigen, die zu den Verän-
derungen im Landschaftsbild des Versailler und Pariser
Umlandes Entscheidendes beitrugen. Die Untersuchung wurde
über die Mißerfolge des Königs in Politik und Ökonomie seit
dem Pfälzischen Krieg, der im allgemeinen als erste bedeu-
tende Zäsur im »Siecle de Louis XIV« angesehen wird, hinaus-
geführt; über alle Neuansätze im Bau- und Dekorationsstil
von Regence und Rokoko wurden so Kontinuitäten - Aus-
wirkungen aus der frühen Glanzzeit der Bätiments du Roi -
sichtbar.

Die Maison de plaisance eignete sich in besonderem Maße,
das Wechselspiel von Vorbild und Kontrolle zwischen den
Bauten des Königs einerseits und denjenigen von »Cour« und
»Ville« andererseits in seinen Veränderungen über einen länge-
ren Zeitraum zu verfolgen: Ludwig XIV. sollte sich Ruhm als
Bauherr - nach Abbruch der Arbeiten am Louvre - beinahe
ausschließlich durch Bauten auf dem Lande erwerben. Nicht
die städtischen Hotels particuliers, sondern die Landsitze der
»Nouveaux Riches« hatten in der Fronde, wie in zahlreichen
Pamphleten deutlich wird, den Vorwurf unziemlicher Baulust
auf sich gezogen. Der Landsitz mußte daher mehr als das Stadt-
haus zum Gradmesser sozialer Ansprüche werden.

Ludwig XIV erließ keine Vorschriften zum standes-
gemäßen Bauen. Dennoch unterschieden sich die neuen Nie-
derlassungen, die mit gehörigem zeitlichem Respektabstand
zu den Ereignissen von 1661, dem Beginn der Selbstregierung
Ludwigs XIV und der Affaire Fouquet, entstanden, in wenig
aufwendiger architektonischer Instrumentierung, Ausstattung
und Nutzung klar von ihren Vorgängern. Jeder Anschein von
Anspruch auf Herrenrechte und Streben nach ökonomischem
Profit war, wie es das negative Beispiel des diskreditierten
Vaux-le-Vicomte empfahl, zu vermeiden. Die neuen Landhäu-
ser hatten, wie es Davilers Definition 1691 festschreiben
sollte, vorwiegend dem »plaisir« ihrer Bewohner, der Muße
auf dem Land, zu dienen. Waren die Möglichkeiten des zeit-
weiligen ländlichen Aufenthalts für die führende Schicht unter
den Hof- und Stadtleuten bislang reicher zwischen den Extre-

men des festen Schlosses und des großen landwirtschaftlichen
Gutes aufgefächert, reduzierten sie sich von jetzt an auf die
eine Nutzung als Maison de plaisance zu immerhin individuell
zu bestimmenden Lustbarkeiten.

An der Durchsetzung dieser Neuerung waren die archi-
tektonischen Unternehmungen Ludwigs XIV, deren Innova-
tionen im Pariser Umland erst »postum« nachgeahmt werden
sollten, als Vorbilder korrekten Bauens nicht maßgeblich betei-
ligt; denn hier wurde vordringlich erarbeitet, wie die Bauten
des Königs auszusehen hatten. Der Abstand zu den Untertanen,
die Unvergleichlichkeit der königlichen Person, schloß jede
Nachahmung, auch eine im Anspruch erheblich reduzierte,
vorerst aus. Der Ernst und das Tempo, mit denen die Bätiments
du Roi seit 1661 ins Werk gesetzt wurden, und die publizisti-
sche Begleitung aller Baumaßnahmen zeigten zugleich unmiß-
verständlich, daß der junge König unter dem Einfluß seines
Surintentendant des Bätiments, Colbert, in der Baukunst das
geeignete Mittel zur Sicherung des Ruhms erkannte. Architek-
tur geriet damit, anders als zu Zeiten Ludwigs XIII. oder
während der Regence der Königinmutter und Mazarins, in die
Sphäre des Politischen. Sowohl den Prinzen als auch den im
Königsdienst aufgestiegenen Ministern mußte es daher ratsam
erscheinen, Ludwig XIV zunächst die Rolle des innovativen
Bauherrn allein zu überlassen.

Es ist verständlich, daß sich die Bauten des Königs von den-
jenigen der Finanzleute, die auf diesem Gebiet bisher den Ton
angegeben hatten, klar abheben sollten. Dennoch kam es nicht
zum vollständigen Bruch mit dieser Bautradition: Die Klientel
Louis Le Vaus hatte, wie Vaux-le-Vicomte nur als ein Beispiel
unter vielen belegt, Gefallen an der Kombination von einfalls-
reichen Antikenrekonstruktionen mit der auftrumpfenden
Pracht vieler Säulen in den Interieurs und großen Ordnungen
am Außenbau gefunden. Zum letzten Exempel einer derarti-
gen, antiquarisch vertretbaren Rekonstruktion antiker Gebäude
sollte die Menagerie werden, die Louis Le Vau 1663 im Park
von Versailles erbaute. Das letzte Exempel für eine künftig als
dilettantisch erkannte Auffassung von Architektur, die ein
großes Format und eine große Zahl von Ordnungen als beson-
dere Qualitäten betrachtete, entstand in der Versailler Garten-
fassade von 1668/69. Hier tauschte Louis Le Vau das antike,
durch die Finanzleute belastete Vorbild gegen die italienische
Villa aus und übertraf diese u. a. durch die Übertragung in ein
riesenhaftes Format.

Zur selben Zeit ging man am Louvre bei der Suche nach der
neuen königlichen Baukunst andere Wege: Gegen die ältere,
antiquarische Blütenlese aus der Antike, die die Bauten Le
Vaus prägt, setzten Spezialisten wie Claude Perrault das
Bemühen, die vor allem aus Vitruv abgeleiteten Prinzipien
 
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