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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 57.1906-1907

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Halm, Philipp Maria: Zur Geschichte der Möbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.9336#0218

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Zur Geschichte der Möbel.

Jur (beschichte der MöKek.

^er mächtige Umschwung, der sich im
Laufe des letzten Jahrzehntes auf
dem Gebiete der augewandten Künste
vollzogen hat, ließ vermuten, daß
sich die historischen und theoretischen
Studien nicht mehr in jenem großen
Umfange diesem Bereiche zuwenden würden, wie dies
seit der großen Londoner Weltausstellung von f85s
bis herab zu den neunziger Jahren
des verflossenen Jahrhunderts der
Fall gewesen war. Wer hätte es
auch wagen wollen, nach all den
großen Abbildungs- und Borlage-
werken, nach den Mufeumspublika-
tionen und Mustersammlungen mit
ähnlichen Erscheinungen auf den
Markt zu treten, da das Pauptkon-
tingent der Abnehmer, die ausfüh-
renden Kunsthandwerker, auf andere
Bahnen gewiesen worden waren.

Un: so mehr muß es wunderneh
men, wenn in jüngster Zeit dem
Pauptzweig der angewandten Kunst,
dem Wobiliar, wieder nach der histo-
risch-theoretischen Leite erhöhtes In-
teresse gewidmet wird, wie solches
zwei groß angelegte Veröffentlichun-
gen dokumentieren, auf die wir un-
sere Leser Hinweisen möchten, fassen
wir die erste derselben ins Auge,

Alfred Gotthold Weyer, Tafeln
zur Geschichte der MöbelformenU)

Gotthold Alfred Weyers monu-
mental angelegtes Werk entstand in
erster Linie aus dem Bedürfnis, für
den stilgeschichtlichen Unterricht ein
entsprechendes vollständiges Abbil-
dungsmaterial zusammenzutragen,
nachdem bis dahin ein solches nur
mühsam und unvollständig aus Photographien und
Büchern zu erstellen war. Wesen und Zweck der
Aufgabe forderten hier wesentlich andere Gesichts-
punkte als jene, unter denen das Waterial für kunst-
geschichtliche Handbücher und ähnliche Publikationen
ausgesucht zu werden pflegten. In diesen wurden
zumeist nur jene künstlerischen Höhepunkte des Ge-
bietes abgebildet, die als Prachtstücke ihrer Art den
stolzen Besitz der Museen darstellen; vergebens suchten

') Alfred Gotthold M e y c r, Tafeln zur Geschichte der Möbel-
formen. I.—III. Serie (Atlas und Text), Leipzig, R. w. ksierfe-
ma»u zyoz—;go5.

382. Waschgestell; aus der
Partenkirchener Schnitzschule.

wir aber nach jenen bescheideneren Kunstleistungen
und primitiven Erzeugnissen der Wöbel, die uns
einesteils für die Entstehung, Entwicklung und Weiter-
bildung der einzelnen Typen von stilistischem und
stilgeschichtlichen: Interesse sind, andernteils aber auch
als Gemeingut ihrer Zeit ein richtigeres, wahreres
kulturgeschichtliches Bild uns bieten als jene verein-
zelten Prunkstücke in Wuseen und Lchlössern. Als
Quellen für sein Werk benützte Weyer naturgemäß
auch die Vriginalstücke der Lammlungen, die er
unter diesen: Gesichtspunkte feit Jah-
ren aufs sorgfältigste durchforschte;
die Lücken auszufüllen halfen Nach-
bildungen in gleichzeitigen Bildwer-
ken — Gemälde, Plastiken, Alein-
kunst — und Bauernmobiliar in
seinen konservativen Ausdrucksweisen.
Pier bewährte sich Weyer als der
gewohnte weitblickende Historiker und
Analytiker, als der er sich in der
Kunstgeschichte durch seine „Mber-
italienische Frühreuaissance" einen
unerschütterlichen Ruhm gesichert hat.

Als feinfühlender Moderner
strebte Weyer, um ein aus solchem
vielgestaltigen Waterial zusammen-
gewürfeltes buntscheckiges Ganzes zu
vermeiden, die Verschiedenheit der
Quellen durch einheitlich wiedergege-
bene perspektivische Zeichnungen aus-
zuglcichen, so daß auch in buchkünst-
lerischer pinsicht ein erfreuliches Er-
zeugnis geboten wird. Klarheit der
Einzelformen, Deutlichkeit des Auf-
baues und der Konstruktion und ge-
nügender Ausdruck des Materiales
waren wieder für die Aeichnuitg be-
stimmend. Für die Gruppierung
des umfangreichen Materials er-
schienen Weyer nicht die Maße
persönlicher, nationaler und zeitlicher
Lchaffenskraft entscheidend, sondern die ewig gültigen
Grundlagen für das Verhältnis von Mittel und
Zweck. Tritt hierdurch ganz selbstverständlich das
entwicklungsgeschichtliche und stilistische — nicht stil-
geschichtliche — Element mehr in den Vordergrund,
so bietet sich nichtsdestoweniger doch auch für die
Kultur-, Kunst- und Ltilgeschichte ein hervorragendes
Material. Wie wir bereits oben schon bemerkt, lag
es dem Verfasser weniger daran, Prunkstücke zu geben,
die inehr für eine Kunstgeschichte des Möbels von
Wert sind, sondern Durchschnittstypen und Gebrauchs-
stücke; Prunkstücke fanden nur dann Berücksichtigung,

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