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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 57.1906-1907

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Chronik des Bayer. Kunstgewerbevereins
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Wochenversammlungen
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Chronik des Bayer. Kunstgewerbevereins.

treibende, Vertreter der Stadt usw. im Tamposanto des südlichen
Friedhofes zu einer kleinen Gedenkfeier, an der auch der Vor-
stand des Kunstgewerbeoereins, Prof. Pfeifer, teilnahm; nach
der Gedächtnisrede des kjofglasmalers Dstermann legte auch
Prof. Pfeifer einen Kranz auf die Grabstätte nieder, indem er
unter Hinweis auf die kulturell so bedeutungsvolle Zeit Lud-
wigs I. mit dem Wunsch schloß, daß eine spätere Zeit auch
unser Wirken anerkennen möge.

Mochenversammkungen.

Zehnter Abend — den 5. Februar ;yor — Vortrag von
Professor vr. Berthold Riehl über: „Das Sittenbild in der
deutschen und niederländischen Kunst". Das Sittenbild, welches,
wie der Vortragende einleitend bemerkte, bereits in der zweiten
Hälfte des \b. Jahrhunderts bei den Niederländern sich zu einer
selbständigen Gattung entwickelt hatte, erreichte im t?- Jahr-
hundert seine höchste Blüte; es ging dann zurück, um in der
Mitte des Jahrhunderts besonders in Deutschland in den
Vordergrund zu treten. Redner zeigte, wie schon vor A. Dürer,
der meist als der erste eigentliche Schilderer des Volkslebens
seiner Zeit, also auch deren Sitten, ausgestellt wird, sich Be-
strebungen dieser Art geltend machten. Allerdings sei Dürer
ein außergewöhnlich scharfer Beobachter seiner Umgebung ge-
wesen und schuf als solcher eine Reihe wahrhaft typischer Eha>
raktergestalten, aber es waren doch vorwiegend nur Einzel-
figuren oder Gruppenbilder von wenigen Personen, ohne bild-
mäßige Staffage, die er in seinen Holzschnitten, Kupferstichen
und Handzeichnungen verewigte. Allein Dürer war trotzdem
ein Bahnbrecher auf dem Gebiete, das seine Nachfolger ebenso
energisch als reichlich weiter bearbeiteten. Am originellsten und
zielbewußtesten faßten die Niederländer die Sache an und von
Lukas von Leyden angefangen bis zum Ausklingen ihrer Eigen-
art können sie als die Hauxtvertreter des Sittenbildes betrachtet
werden. Gerade wir in München mit den reichen Schätzen
einschlägiger Werke, die von den Wittelsbacher Fürsten gesam-
melt, sich in der Alten Pinakothek, der Galerie in Schleißheim,
der Kgl. Graphischen Sammlung befinden, haben Gelegenheit,
die besten Meister dieser Art auch in den besten ihrer Arbeiten
zu genießen, den vornehmen David Teniers, den derberen,
kecken Adrian Brouwer, Adriaan van Gstadc, F. Breughel usw.
Die Blütepcriodc dieser Kunstgattung, die heute meist mit dem
Sammelnamen „Genre" belegt wird, übte so große Auzichungs-
kraft, daß sich ihrer selbst der aristokratische Rubens, wie seine
flämische Kirmes erweist, nicht zu entziehen vermochte, von
den niederländischen Meistern des Sittenbildes spannen sich dann
die Fäden wieder nach Deutschland herüber, wo nach einer
Unterbrechung Lhodowiecki der Schilderer seiner Zeitgenossen
in trefflichster Weise wird, jedoch den Boden verliert, wo er
Shakesxearsche Dramen illustriert. Jm vorigen Jahrhundert
nahm die Entwicklung des genrehaften Sittenbildes einen an-
deren Weg insofern, als es vielfach sich nicht mit der Wieder-
gabe zeitgenössischer vorkoinmnisse begnügte, auch nicht mehr
mit der Naivität der Alten einen weit zurückliegenden geschicht-
lichen Vorgang in die Tracht und das Gebaren der eigenen
Zeit steckte, sondern rückgreisend derlei mit dem historischen Kostüm
und Milieu ausstattete. Die Kunst des vorigen Jahrhunderts be-
schäftigte sich mit dem Volke eben mehr um des Volkes willen,
nicht des Hervorkehrens farbiger Effekte wegen, und wenn die
Kunstziele König Ludwigs I. auch ganz andere waren, so
wendete er trotzdem dem Genre seine vollste Aufmerksamkeit
zu. Der Vortragende, der manchen feinen und charakteristischen
biographischen Zug über diesen oder jenen Künstler mit ein-

flocht, unterließ auch nicht, auf den großen Einfluß aufmerksam
zu machen, den die Entfaltung unserer klassischen Literatur —
Schiller, Goethe usw. — aus diese Kunstgattung übte. Die
Tätigkeit eines A. Adam, L. Richter, Sxitzweg. Defregger,
Lossow, Grützner, Wilh. Diez, Simm usw. würdigend, schloß
der Redner seine klaren und übersichtlichen, von reichem Jllu-
strationsmaterial unterstützten Ausführungen mit dem Hin»
weis, daß das Sittenbild eine ungleich tiefere Bedeutung
besitze, wie ihm meist als Produkt der Malerei zugestanden
werde und die Zeit seines Wiederauflebens vielleicht nicht
mehr so ferne sei als viele meinen. — Leider hatte die
an diesem Tage stattgehabte Reichstags-Stichwahl viele Vereins-
mitglieder vom Kommen abgehalten; um so dankbarer und
beifälliger nahmen die Anwesenden die geistvollen, anregenden
und vielfach von Humor begleiteten Ausführungen entgegen.

Elfter Abend — den Februar — Vortrag von Prof,
vr. Siegm. Günther: „Der Formenreichtum unseres Sonnen-
systems". Auf den ersten Blick erscheint es, daß die Gestirne
uns wenig Gelegenheit geben, eine besondere Manchfaltigkeit
der Formenwelt zu beobachten; wenn man aber die Ausfüh.
rungen des Redners, die von einer ausgiebigen Zahl von Licht-
bildern begleitet waren, aufmerksam verfolgte, so konnte man
doch mancherlei eigenartige Formen und Gruppierungen in der
Sternenwelt, an den Kometen wie an den Protuberanzen der
Sonne wahrnehmen. Naturgemäß ruhte der Schwerpunkt
des Vortrags in der Vorführung verschiedener Gestirne, selt-
samer Vorgänge rc. unter geistvollen Betrachtungen über deren
Ursachen rc. Formal zum Interessantesten gehörten die Pro-
tuberanzen, die als gewaltige Eruptionen gedeutet werden und
die bald die Gestalt von Fackeln, bald die von Flügeln, Fabel-
tieren rc. annehmen. Nachdem Redlier in der Einleitung die
Entwicklung der Fernrohre, der Fernphotograxhie und der
Spektralanalyse kurz geschildert hatte, nahm er Veranlassung,
eine Reihe Planeten, insbesondere Mond und Mars, eingehender
zu besprechen, — auch Jupiter, Saturn, Venus wurden gezeigt
und endlich auf das Zodiakallicht und die Meteore hingewiesen.
In bezug auf die Frage, ob von den andern Himmelskörpern
außer unserer Erde — einige bewohnt sind bzw. bewohnt sein
können, faßte Redner den derzeitige:! Stand dieser Wissenschaft
dahin zusammen, daß Venus und Mars — obgleich erstere viel
heißer, letzterer kälter als die Erde ist — wohl das Dasein von
Geschöpfen ähnlich denen unserer Erde möglich erscheinen lassen.
So weit aber auch die wissenschaftliche Forschung im gestirnten
Himmel vorgedrungen ist, so viel hat sie auch wieder neue Rätsel
aufgegeben. — Die Zuhörerschaft, die durch diesen Vortrag er-
neut die Vielseitigkeit des Redners anzustaunen Gelegenheit
hatte, ließ durch warmen Beifall ihr Interesse an dem Gegen-
stand erkennen.

Zwölfter Abend — den 26. Februar — Vortrag von
Prof. vr. voll über: „Die alten Niederländer in der Pinako-
thek". Redner schildert zunächst in seiner von reichem Wissen
getragenen, sachlich gediegenen Weise die Erwerbung der
Boisseree-Sammlung durch König Ludwig t., der die ganze
Sammlung um den heute lächerlich niedrigen Preis von rund
-*oo ooo Kt. — nach unserem heutigen Gelde — erwarb, wäh-
rend ihm sein Galeriedirektor nur zu einigen wenigen Stücken
geraten hatte — und zwar gerade zu solchen, die man heute
zu den minderwertigsten zählt, Heute übersteigt der Wert vieler
einzelner dieser Bilder um ein Beträchtliches den Ankaufspreis
der ganzen Sammlung. Die alten Niederländer im engeren Sinn
umfassen die Maler des ;s. und die vom Anfang des J6. Iahr-

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