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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 68.1917-1918

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Rauecker, Bruno: Mode und Qualität
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https://doi.org/10.11588/diglit.10300#0027
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Mo-e unö <l)ualität

von Or. Sruno Rauecker,

Mitglied des Bureaus für Sozialpolitik in Berlin, z. Z. Dberleutnant beim stell». Generalkommando München.

wenn wir in diesen Zeilen über die Zusammen-
hänge zwischen Mode und (Qualitätsarbeit berichten
wollen, geziemt es sich, einleitend zu bemerken,
was unter Mode, was unter «Dualität in unserem
Sinne zu verstehen ist. Nicht auszuzeigen gilt es,
wie die «Dualitätsverschlechterungen der Jahre
vor dem Kriege in zunehmendem Drange sich ab-
lösender Modekrisen die Unreellitäten der Web-
stoffindustrien fördern halfen, nicht eindringlich
zu beweisen, daß Sitte und Moral der Frauen-
welt im Ablauf jener „Mode"zeiten schwach und
schwächer wurden. Ls soll nichts gegen den Mode-
teufel unternommen werden, und von Beschwö-
rungssprüchlein halten wir uns fern: die Mode,
wie wir sie verstehen, ist kein moralisch Ding.

Man hat in unseren Tagen aus Griechenland den
Marmor, aus Afrika, Australien und Südamerika
die Edelhölzer eingeführt, man hat auf den
„Stimmungsgehalt" räumlicher Gebilde mehr wert
gelegt als auf Vergeistigung der ihnen innewoh-
nenden Verhältnisse; man hat das Agenturgewerbe
und die Industrie der Möbelstoffe, Tapetenindustrie
und Steindruckbetriebe, die Fächerfabrikation und
die Lederwarenherstellung, die Produktion der
Rinderwägen und die Glasmanufakturen in ein
prokustesbett der Musterungshetze eingespannt:
das war „die Mode".

Weil es „so üblich" war? weil der Zwang unseres
gepeitschten Lebens Modebildungen von Viertel-
jahr zu Vierteljahr gefordert hat? weil die „ur-
sprünglichen" Bedürfnisse der Menschen nach „neuen
Werten" gierig Ausschau hielten?

Der Psychologie der Modebildungen nachzugehen,
ist hier nicht der Platz, wir wissen alle, daß es
so gewesen ist, daß Nachfrage und Angebot auf
diese „Neuigkeiten" lüstern war, daß unser sonst
so zweckbestimmtes Leben in der Güterwertung
dauernd sinnlos blieb. Aus Wirtschaftsgesinnung
sind wir zu Modenarren geworden, aus unserer
Wertung nach Geld zu Verächtern gültig-beständi-
gerer «Dualität.

Der Krieg, der „Vater aller Dinge", hat uns auf-
gerüttelt. wir ahnen, daß es so nicht weitergeht,
daß Raubbau am Stoffe nationale Sünde ist.
D?ir haben aus Rohstoffmangel ganze Industrien
fafymgelegt, haben anderen die rationellsten ver-
arbeitungsmethoden vorgeschrieben und Typen
aufgefunden, mit denen das vorhandene Material

zum besten Endprodukt gestaltet wird. Webstoff-,
Schuh- und Häusernormen sind ersonnen, an Möbel-
typen wird allenthalben gedacht. Aus Not ist
«Dualitätsarbeit geboren worden, aus Not dem
Modeablauf der Zügel angenommen, was Not
geboren hat, muß freie Wahl erhalten, sinn-
loser Modeablauf von Wertarbeit gemeistert wer-
den. —

wann war es, daß die Mode in ihrer heutigen
Form entstanden ist? „l.e8 mocies cbangeaient
bien queIquekoi8, mais ce n'6tai1 guerre au boul
de 4, s, 6 ans et m§me aprö8 un plus long Inter-
valle de temps“ berichtet noch in der Hälfte
des J9, Jahrhunderts ein Neunzigjähriger. Doch
schon in der \565 erschienenen 2. Auflage der
Schrift „Schulrecht gegen den Hoffahrtsteufel"
begegnen wir der ersten Modephilippika: „wer
wollte oder könnte wohl zählen die mancherley
wunderliche und seltsame Muster und Art der
Kleidung, die bey Manns- und Weibspersonen
in 3o Jahren herauf- und wieder abgekommen
sind. Von Kutten, Schauben, Mänteln, Pelzen,
Körsen, Röcken, Kappen, Kollern, Hüten, Stiefeln,
Jacken, Schürzen, wammsen usw. da hat's müssen
sein Polisch, Böhemisch, Ungarisch, Türkisch, Fran-
zösisch, welsch, Englisch, Nürmbergisch, Braun-
schweigisch, Fränkisch, Sächsisch, kurz, lang, eng,
weit, schlicht, gefaltet, auf ein und Zwey recht,
verbrehmt, verködert, verwulstet, verbörtelt, mit
Fränzelin, mit Knoten, ganz, zerschnieten, gefüttert,
ungefüttert, gefüllet, mit Ermeln, ohne Lrmeln,
gezupft, geschoben, unterneht, mit Tallaren, ohne
Tallaren, mit verloren Lrmeln, bunt, kraus usw."
Klingt es nicht, als hätten wir des seeligen „Auch
Einer", unseres F. Th. vischers Klage im Ghr,
der uns in „Mode und Zynismus" von der Mode
sagt: „Sie tut es nicht anders als zupfen, rücken,
umschieben, strecken, kürzen, einstrüpfen, nesteln,
krabbeln, zausen, strudeln, blähen, quirlen, schwän-
zeln, wedeln, kräuseln, aufbauschen, — kurz sie
ist ganz des Teufels, jeder Zoll ein Affe?"

Das frühe und das hohe Mittelalter kannte die
Mode nicht. In ihm sind Trachten vorgeschrieben,
die die Gesellschaftsschichten voneinander scheiden
sollen, und deren Ordnung und Gebot von Recht
und Sitte streng gefestigt ist. Im italienischen
Huattroeenlo erst wird die Mode wach. Im
Kampfe mit der Tracht nimmt sie sehr schnell

und Handwerk. LS. jZahrg. 2. vierteljahrsheft.

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