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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 73.1923

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F.: Was bleibend ist an der deutschen Gewerbeschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8624#0005
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WAS BLEIBEND IST AN DER DEUTSCHEN GEWERBESCHAU.

Urteile über subjektive Werte haben erst dann tie-
fere Bedeutung, wenn man sich „den Ereignissen ge»
genüber distanziert hat". Das gilt namentlich für Dinge
und Meinungen, die im Feuer des Für und Wider
gestanden und sich erproben sollten. Erst wenn der
klare Saft von der Hefe voreiliger Streiturteile und
„Standpunkte" abgelassen werden kann, taugt er uns
zur Erkenntnis, zu ernsteren Urteilen und brauchbaren
Schlüssen. In dieser Beziehung werden uns die Er»
fahrungen der Deutschen Gewerbeschau doch einiges
gesagt haben. Von gewisser Seite wurde sie direkt
als Polemik gegen „traditionellere" Anschauungen, als
Sieg der neuen Daseinsform gegen die dem Untergang
geweihte bürgerliche Struktur vergangener Perioden
gepriesen, und es gab Stimmen, die in bacchantischem
Taumel einzelne, nicht ganz unanfechtbare Kunstwerke
in der Dombauhütte als den endgültigen Triumph über
die gegenwärtige Richtung in der kirchlichen Kunst fei-
erten und mit fast jakobinischem Zynismus der Kirche
vorschreiben wollten, was sie als Erbauung für das Volk
in die Gotteshäuser aufzunehmen habe, dem gläu-
bigen Volke aber mit wesensfremden und verstände
nislosen aber um so anmaßenderen Ausführungen
„mitteilten" was zur Andacht stimme und was nicht.
Solche kunstkritische Hyperbeln und polemische Or»
giasmen erweckten auf der anderen Seite einen ebenso
unfruchtbarenTrutz/derSpannungszustand wurde ver»
tieft und erstrechte sich naturgemäß auf solche Werke,
die wegen ihrer Eigenheit erst recht leidenschaftslos
und „objektiv" eingeführt werden mußten, um dem
schlichten Aufnahmeprozeß und einer etwaigen Ver»
Schmelzung mit derPsyche der Masse keinerlei Störung
entgegenzustemmen.

Nun ist die Deutsche Gewerbeschau des Vorjahres,
die uns heute fast schon wie ein Traum, wie ein ent»
schwundenes Ereignis anmutet, sicher eine Sache ge»
wesen, die ihre Bedeutung nicht im Augenblick, nicht
im Jahr ihrer geschichtlichen Existenz erschöpft, son»
dein wie eine trophische Erneuerung im kulturellen
Kreislauf der Moderne wirkt, zersetzt, schafft, aufbaut
und Leben erhält. Der traurige politische Zustand
unseres Vaterlandes mit seiner Summe von äußeren
und inneren Wirren hat sich gegen das Vorjahr eher
noch verschärft, das Elend unserer finanziellen und
kulturellen Verhältnisse sich ebenfalls nur verschlech»
tert, und was Kunst und Kunsthandwerk an beson»
derem Absatz buchen konnten, ist nicht minder Schein»
gewinn, als die Einnahmen der Auslandsindustrie, hat
jedenfalls mit einer gesteigerten Lebenshaltung des
guten Mittelstandes, des jeweiligen Trägers der ver»

ständigen Abnahme kultureller und künstlerischer Er»
Zeugnisse, nicht das mindeste zu tun. Die Stimmen
derer mehren sich, die gerade der deutschen Kunst,
dem deutschen Kunsthandwerk, wie überhaupt der
Substanz der produktiven Kräfte unseres deutschen
Vaterlandes die schlimmsten Zeiten als erst bevor»
stehend weissagen. Wer in solchen Sturmfluten anders
gerichteter Orientierungen nicht den festen Fond künst*
lerischer Ehrlichkeit, namentlich auch in formaler Be-
Ziehung, als Ausdruck des Ideellen in sich hat, dem
können böse Tage die Entwicklung verderben, ihn um
Jahrzehnte zurückwerfen, oder gar zum skrupellosen
Konjunkturkünstler entwürdigen. Von diesem Ge»
sichtspunkt aus konnte die Deutsche Gewerbeschau
gar nicht früh genug kommen und ihre Erkenntnisse
über Deutschlands Künstler ausgießen, damit sie von
ihnen Besitz ergriffen und sie in sich nachwirken ließen.
Aber das verlangt wiederum eine klare Auseinander«
setzung in der Psyche des Künstlers, ein stilles Ringen
um das, was bleibend ist an der Deutschen Gewerbe»
schau.

Daß diese Rückkonzentration auf den Ausstellungs»
hügel, die Sichtung gewonnener Eindrücke, die Klä»
rung schneller Urteile einmal kommen müsse, hat uns
schon bei Besprechung des Aktuellen der Gewerbe«
shau veranlaßt, nur Vorläufiges über sie zu berichten
und ein Endurteil, wenn ein solches überhaupt mög-
lieh ist, späterer Erkenntnis vorzubehalten. Eine Be-
stätigung dieser Empfindung ist die Tatsache, daß ein
für die moderne Kunst so fein fühlender und auf die
sensiblen Schwingungen in allem, was künstlerische
Äußerung darstellt, so ausgezeichnet reagierender
Kunstverständiger wie der bekannte Darmstädter In-
haber und Leiter des Verlages Alexander Koch, eben
Herr Alexander Koch die Eindrücke der Gewerbe»
schau zu einem einheitlich sichtenden und wägenden
Werke verdichtet hat: „Das neue Kunsthandwerk in
Deutschland und Österreich, unter Berücksichtigung
der Deutschen Gewerbeschau München 1922". In
diesem Prachtwerk <für Bibliophile übrigens ein be»
sonders reizvoller, von feinstem künstlerischen Ge»
schmack geleiteter und ausgeführter Schatz) reihen sich
die losen Ereignisse zu systematisch gesehenen Ergeb»
nissen, Unfertiges und namentlich solches, was nicht
hätte ausgestellt werden dürfen, bleibt unberücksichtigt/
ohne alle lehrhafte Reflexion wird das Ganze durch
den einheitlichen Gesichtspunkt, der es führt, zur auf»
bauenden Struktur, die kunstmetaphysisch und psy»
chisch die Zusammenhänge erfühlt, die in den so ver»
schiedenen Ausstellungsschichten obwalteten. Dadurch

Kunst und Handwerk. Jahrg. 1923. 1. und 2. Vicrlcljahrsheft

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