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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 74.1924

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Über die Ziele des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins
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https://doi.org/10.11588/diglit.8625#0003
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UBER DIE ZIELE DES
BAYERISCHEN KUNSTGEWERBE-VEREINS.

Anläßlich der diesjährigen Hauptversammlung hat
unser Präsident, Herr Geheimrat Bestelmeyer, zu den
schwebenden Zeitfragen und den Zielen des Bayer*
ischen Kunstgewerbe * Vereins Stellung genommen.
Ausgehend von der irrigen Verdächtigung, der Ver*
ein sehe in der Wahrung der Tradition das Wesent*
-liehe seiner Aufgabe sei somit auf die Erhaltung über*
ebter Stilarten und die Bekämpfung des „Modernen"
eingestellt, kam er dabei zu folgender Klarlegung:

Der Kunstgewerbeverein hat sich von Anfang an,
im Gegensatz zu anderen Vereinigungen, niemals die
Entwicklung einer bestimmten Stilrichtung, weder die
Bekämpfung älterer, noch die Betreuung neuer Kunst
oder umgekehrt zum Ziel gesetzt. Wir stehen auf dem
Standpunkte: esgibtkeinealteundneue, esgibt
nur gute und schlechte Kunst. Wir sind ferner
der Anschauung, daß künstlerische Ideen nur aus der
künstlerischen Persönlichkeit entstehen und sich kor-
porativ weder schaffen noch entwickeln lassen. Es ist
denkbar, daß sich gleichgesinnte Künstler zusammen*
schließen und Gruppen bilden, aber diese Art des
Zusammenschlusses ist eine ganz andere als die, die
der Bayerische Kunstgewerbeverein bezweckt. Sie
kommt wohl in Frage für Gruppenbildung innerhalb
des Vereins, steht aber sonst auf einer zu engen Basis.

Der Bayerische Kunstgewerbeverein will a 11 e schaf-
fenden Kunstgewerbler, ohne Rücksicht darauf, ob sie
sich außerdem zu anderen engeren Ideengemeinschaften
rechnen, ideell zusammenfassen, nicht um damit Kunst
zu erzeugen, wohl aber, um damit dem Gemeinsamen
alles künstlerischen Schaffens eine Stätte zu bereiten,
einen Ideenaustausch zu ermöglichen, Anregungen zu
vermitteln, vor allem solche zwischen der reinen Kunst
und der handwerklichen Technik. Um gute Werkkunst
zu erzeugen, muß der Künstler sich in die Eigenart des
Stoffesund seiner Bearbeitung einleben, wie anderseits
der Handwerker sich von den Fesseln des Materials
durch Vervollkommnung seiner Technik freizumachen
bestrebt sein muß. So weisen sich beide gegenseitig
die Wege zu ihrer Vervollkommnung.

Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen und es gibt
keine Kultur der Einsamkeit und ebensowenig eine
Kunst der Einsamkeit. Wenn also auch nur die in sidi

fertige geschlossene Persönlichkeit zur Schaffung künst*
lerischer Werte befähigt ist, niemals eine Vielheit, so
ist anderseits die Anregung von außen, der Kul*
turkreis, in dem der Künstler lebt, für die künstlerische
Betätigung von entscheidender Bedeutung. Die For*
derung, abgeschlossen von der Umwelt, in der Stille
der Werkstatt Kunst zu erzeugen, ist deshalb irrig
undstehtmitunsererganzen Kunstgeschichte in Wider*
spruch. Allezeit ist die beste Kunst da entstanden, wo
pulsierendes Leben war und eine Reihe von Künstlern
Anregung gab und empfing. Der schaffende Künstler
muß in der Zeit stehen, aber nicht in dem Sinne, daß
er sich von Modeströmungen treiben läßt, er muß den
Sinn und die Aufgaben seiner Zeit erfassen und bewäl*
tigen. So haben die herrschenden Gewalten, Kirche,
Königtum, Staat, haben dieSiedlungsformen, diepoliti*
sehen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu
verschiedenen Zeiten verschiedene künstlerische Auf*
gaben gestellt, die nur von jenen Künstlern erfaßt und
gelöst werden konnten, die mitten im Leben, ja an den
Brennpunkten des geistigen Schaffens standen.

München war eine solche Kunststätte und ist es heute
noch. Es vereinigt in glüddicher Weise Kunst und
Handwerk in seinen Mauern. Echte Kunst ist boden*
ständig und kann nicht dadurch entstehen, daß sie
gewissermaßen international abgestempelt wird. Es
ist deshalb keineswegs Partikularismus, sondern ent*
spricht den Lebensbedingungen echter Kunst, wenn wir
die Münchner Kunst auf unsere Fahne schreiben.
Leider ist die Kunstkritik in Deutschland bereits mehr
oder weniger zentralisiert, und es gibt kunstgewerbliche
Bestrebungen, die ähnliche unitaristische Wege gehen.
Demgegenüber sollte uns die Erinnerung an die unter*
gegangene Wiener Kultur eine Warnung sein. Ihr
dürfen wir nicht folgen, und ohne in die Banalitäten
des auf den Fremdenverkehr zugeschnittenen Münch*
nertums zu verfallen, sollen wir das echte Münchner
Leben erhalten und stützen. Dazu gehört die Vereini*
gung von Künstlertum und Handwerk, ein
Kunsthandwerk, das auf der Vervollkommnung, Läu*
terung und Höherentwicklung des Handwerks ruht
und darin bodenständig wurzelt. Das hat mit alt und
modern nichts zu tun, nur gut muß es sein und wir

Kunst und Handwerk. Jahrg. 1924. 1. Vierteljaurshelt

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