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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 74.1924

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Dekorative Techniken: gestickte Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.8625#0005
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DEKORATIVE TECHNIKEN.

GESTICKTE BILDER.

Die Ästheten, das sind jene, die über Kunst gelehrt
reden und aus Gesetzen, die sie deduzieren, über das
Schöne Redit sprechen, behaupten, daß jeder Stil aus
dem Geist der Kultur der jeweiligen Periode geboren
sei, sich wenigstens leicht aus ihm erklären lasse, nie
etwas rein Formales oder gar Intellektuelles sei, sondern
eine selbstverständliche Tatsächlichkeit, eine logische
Resultante aus den Prämissen von Volksgemeinschaft
und künstlerischer Technik. Sie müssen es ja wissen
und wir sind ehrfürchtig genug es zu glauben. Nur
wäre es dann interessant, die Nutzanwendung auf
die Gegenwart zu erfahren, bei der die Schönheits-
lehrer schon etwas wortkarger werden, um so mehr,
als das Gefolge der Kunsthistoriker, die zum großen
Teil heute weniger im Kunstgeschichtlidicn, als in der
ästhetischen Exegese die Zierde ihres Berufs erkennen,
sich ja für die Gegenwart nicht mehr kompetent erklär
ren, bezw. von dieser nichts mehr wissen wollen. Wer
einmal ein Stadtbild betrachtet hat, das neben seinen
wunderbaren Kostbarkeiten aus älteren Perioden in
unausgesetzer Folge etwa seit den siebziger Jahren
bauliche Veränderungen, Erweiterungen, Neuerung
gen erlebt hat, der ist deprimiert, wenn er aus diesen
„Stilen" auf den Geist der Kultur dieser letzten fünf
Dezennien sdiließen soll. DieRevolutionäre haben mit
fanatischer Lust die „monarchistischen Grundlagen",
die „bürgerliche Schichtung dieser Kultur und Kunst"
zusammenstürzen sehen und mit der politischen „Neu-
bildung" auch den Anbruch eines neuen und großen
Zeitalters wahrer Kunst geweissagt. Es ist im Politik
sehen wie im Künstlerischen eine Weissagung geblieben
und die Füße derer, die auch diese Leichen hinaus-
tragen, sind bereits vor der Tür. Kunst kommt noch
immer von Können. Wer am meisten kann, hat noch
immer die größte Chance, nicht wer die himmel-
stürmendsten Ideen wälzt, in den „Born der Volks-
gemeinschaft" sich flüchtet, weder in dem bergenden
Schoß großer Meister der Vergangenheit eine sichere
Linie zu besitzen, noch etwas absolut „Neues" kon-
struieren zu müssen glaubt. Wir sind zu geschichtlich
geworden, nicht bloß in Kenntnis, Verteidigung oder
Ablehnung vergangener Stile, sondern auch in Kenntnis
und Kopie der Lebensschicksale großer Meister. Die
schlichte Geradheit des Denkens, Empfindens undWol-
lens in Verbindung mit einer abgrundtiefen tedinischen
Vervollkommnung allein wird aus dem Wirrwarr
retten und das Gleichgewicht der schaffenden Kräfte
in Kunst und Kunsthandwerk wiederherstellen. Es
wurde in diesen Blättern wiederholt darauf hingewie-

sen, daß das Kunsthandwerk zu allen seinen bewun-
dernswerten technischen und formalen Eigenschaften
eine weise Beschränkung im Material und im Orna-
ment sich aneignen müsse, wenn es verkaufsfähig sein
und bleiben wolle. Die Erfahrungen in anderen Län-
dem, die gesiegt oder vom Krieg verschont geblieben
sind, lehren dies mit eindringlicher Klarheit. Unser
Kunstgewerbe muß wieder systematisch hinaus auf den
Weltmarkt, den es in der Qualität nicht zu scheuen hat.
Es muß aber auch die wirtschaftlichen Vorbedingungen
kennen undstrengeinhalten, wenn eszum Sieggelangen
will. Es ist keine unwürdige Zumutung, wenn von
dem deutschen Kunsthandwerk verlangt wird, daß es
sich in seiner Formensprache von den materiellen Rück-
sichten auf Wirtschaftliches, auf den Weltmarkt beein-
Aussen lassen soll. Sieht man nämlich genauer zu, so
wird eine solche Rücksichtnahme nur schneller von allen
Reflexionen, wie sie eingangs gekennzeichnet wurden,
heilen, wird zeigen, daß die natürliche Entwicklung
sdieinbar ganz zufällig dahin getrieben hat, wozu jene
Erwägungen veranlassen : zur größten Einfachheit im
Ornament, zum dekorativen Stil.

Es ist für das Rokoko sicher eine Beleidigung, wenn
man es auch nur in die loseste Parallele zu dem —
Jugendstil stellt, d. h. die gewundene Linie, die Ver-
neinung der Geraden und Regelmäßigkeit als das
beiden Gemeinsame erklärt. Wir sind über diese
Parallele meist schnell hinweg und wollen den Ver-
gleichspunkt nur darin gelten lassen, daß beidesmal
das Gewundene und Unregelmäßige die klassische
Linie des Ebenmaßes als eine natürliche Reaktion vor-
bereitet hat. Man hat Umwege gemacht, als man das
höckerige Mißgebilde, die senile Entartung, die man
„Jugend"stil nannte, aus Haus und Kunst mit einem
ärgerlichen Fußtritt verjagt hat. Das „Neue" war
nichts, der „Fortschritt" kompromittiert. Um so er-
giebiger schien das ganze motivische Material der
Alten, die man in unzähligen Variationen ausschrieb,
kopierte und sich in altdeutsche Romantik träumend
und sorglos barg. Es wäre nie zu den tiefen Gegen-
sätzen zwischen Alt und Jung, zwischen den Retro-
spektiven und den vielen Schattierungen der Futuristen
gekommen, wenn man nach den entsetzlichen Ent-
täuschungen der neunziger Jahre und dem unrettbaren
Fiasko der „Wilhelminischen Ära", wie man die wenig
erfreulichen Zeiten bis um 1910 nennt, sofort an das
gegangen wäre, was allein Wiederaufbau und ge-
sundes Arbeiten verhieß, an den dekorativen Grund-
gedanken in der angewandten Kunst. Gerade das

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