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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 74.1924

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Tut-ench-amun
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https://doi.org/10.11588/diglit.8625#0023
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TUT=ENCH-AMUN.

„Für Altertumsforschung allgemeines Interesse! —
das war für die meisten von uns neu und verwirrend!
In der Vergangenheit haben wir glüddich und zufrieden
mit unsern Forschungen, nur selbst daran interessiert,
gelebt. Von anderen erwarteten wir kaum mehr als laue
Höflichkeit gegen unserWerk. Jetzt plötzlich finden wir,
daß die ganze Welt an uns Anteil nimmt und so stark
nadi Einzelheiten verlangt, daß besondereBeriehterstat*
ter mit hohen Gehältern abgesandt worden sind, uns zu
interviewen, über jede unserer Bewegungen zu berich»
ten und, hinter Ecken verborgen, uns Geheimnisse ab-
zulauschen. Man muß annehmen, daß zur Zeit unserer
Entdeckung die allgemeine Öffentlichkeit mit Repara-
tionsneuigkeiten, Konferenzen und Mandaten übersät^
tigt war und gelangweilt einen neuen Unterhaltungs-
Stoff suchte. Bald wurde uns in nicht mißzuverstehender
Weise klar, welche Unannehmlichkeiten wir zu gewär-
tigen hatten. Telegramme regneten von allen Teilen des
Erdballs auf uns nieder. Nach einigen Wochen folgten
Briefe, eine wahre Sintflut, die seitdem ununterbrochen
angehalten hat. Staunenerregendes war darunter. Mit
Glückwunsdibriefen fing es an, dann folgten Anerbie-
ten, Hilfe zu leisten, vom Grundrißzeidinen bis zu den
Diensten eines Kammerdieners, Ersuchen um Anden-
ken — selbst einige wenige Sandkörner vom Äußern
des Grabes würden nur zu gern angenommen werden
—, Anerbieten von phantastischen Geldsummen für
die Berechtigung von Filmaufnahmen bis zum Patent
für Kleidermoden, Ratschläge zum Konservieren der
Altertümer und das beste Verfahren, böse Geister und
Naturgewalten zu beschwichtigen, Zeitungsausschnitte,
kurze Abhandlungen, vermeintlich witzige Mitteilungen,
strenge Anklagen wegen Entweihung, Ansprüche auf
Verwandtschaft." Was Howard Carter, der Schreiber
vorstehender Zeilen, über das mehr lärmende und neu*
gierige als aus innerer Beziehung zu Kunst und Ge-
schichte stammende Interesse der Besudier an Ort und
Stelle berichtet, das haben wir in noch viel groteskerem
Ausmaße in Deutschland erlebt und erleben es alle
Tage. „Tut=en<h=amun", so nennen sich heute Ziga-
retten, Kabarettscherze, Romanfiguren, Erzählungstitel.
Was das Grab dieses vor rund 3000 Jahren bestatte»
ten Königs bisher an Form und Geschmack verwahrt,
das sieht man nun derb und pietätlos nachgemacht auf
Schachteln und Padcungen. Bis das Kunstgewerbe dazu
kommt, den ungeheuren Schatz von Anregungen in
sich aufzunehmen und zu verarbeiten, hat die öde Sen-
sation das Große und Schöne bereits ins Gemeine ge-
zogen. Was will die Welt vonTut=cnch-Amun?nach-
dem selbst ein so gelehrter Ägyptologe wie Carter

sagt: „Soweit unsere Kenntnisse heute reichen, können
wir mit Gewißheit sagen, daß das einzig Bemerkens^
werte in seinem Leben darin bestand, daß er starb und
begraben" und, fügen wir hinzu, ausgegraben wurde.
Und dodi, wer dieses Buch: „Howard Carter und A.
C. MaceTut-ench-Arnim, ein ägyptisches Königs-
grab, entdedct von Earl of Carnarvon und Howard
Carter", zur Hand genommen und nur einige Seiten
gelesen hat, legt es nicht mehr weg, bis er es in einer
einzigen Welle der Begeisterung durchschritten, bis er
die fieberhafte Schönheit der Darstellung, den berau*
sehenden Stil eines Literaten genossen ■— das Buch liest
sich tatsächlich wie ein literarisch wertvoller Roman —
den überwältigenden Reiz des ungewöhnlich Neuen
und Großen gekostet, die staunenswerte Fülle neuer
Erkenntnisse und Kunstwerke kennen gelernt. Es ist
dabei noch etwas besonders Befriedigendes: Die Ent-
dedeung verdankt ja nicht etwa dem Zufall eines von
ungewöhnlichem Glüdc begünstigten Abenteuers seine
Erfolge,- sie ist vielmehr das Resultat planmäßigen
Nachdenkens, der Lohn langjähriger, systematischer
Forschungslogik. Seit Jahren sind der Lord Carnarvon
und Howard Carter in jener geheimnisvollen Gegend,
die sich „das Tal der Könige" nennt, jener seltsamen
Residenz der Toten in der Nähe von Theben, in der
zahlreiche ägyptische Könige und Königinnen mit allen
Zeichen irdischer Majestät, von Pracht und Reichtum
den Tod wie eine schweigsame Fortsetzung des Lebens
versinnbilden. Die ägyptische Vorstellung, daß dem
Toten alles beigegeben werden muß, was ihn im Leben
ausgezeichnet, bradite die ägyptischen Könige in die
größte Sorge, wo und wie sie ihre Gräber am geheim-
sten und darum am gesichertsten anlegen könnten. Die
Pyramiden mit ihren gewaltigen Blöd^en und verhält-
nismäßig kleinen Totenkammern sind ebenso aus die-
sein Bedürfnis nach Schutz entstanden wie etwa das
GrabTut=ench-Amuns in der verborgenen Steinspalte.
Nichts hat vor der verwegenen List der ägyptisdien
Grabräuber dauernden Schutz geschaffen und kaum
ein Grab blieb von diesen gierigen Händen unberührt
— auch das Tut=ench=Amuns nicht.

Es ist, wie gesagt, ein „vorläufiger Bericht" erschien
neu, ein glänzendes und mit feinstem Gesehmadt aus-
gestattetes Budi mit vielen Tafeln und Abbildungen,
ein Werk, das von der gebildeten Welt Deutschlands
in heißem Verlangen erwartet und innerhalb weniger
Wodien in vielen tausenden von Exemplaren verbrei-
tet worden ist. Noch ist der Bericht, wie der Verfasser
sagt, ein vorläufiger. Er umfaßt nur den Inhalt derVor-
kammer mit einem flüditigen Blidc auf die eigentliche

Kun-t und Handwerk. Jahrg. 1924. 2. Vicrtefjahrshcft

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