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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 74.1924

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Heilmeyer, Alexander: Gesicht und Geschichte des Erzes
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https://doi.org/10.11588/diglit.8625#0063
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GESICHT UND GESCHICHTE DES ERZES

VON ALEXANDER HEILMEyER.

Es liegt etwas undefinierbares, geheimnisvolles
darin, warum gerade die bildnerischen Kräfte und die
Phantasie in ihrem unergründlichen Schauen von die-
sem oder jenem Stoff stärker ergriffen und angeregt
werden. Mir ist es so viel wie sicher, daß der Grieche
schon beim Anblick des parischen Marmors, der in der
Sonne leuchtete, seine Aphrodite im Blod< geschaut hat.
Sie wuchs ihm schon in der schneeigen Weiße ihrer
Gliederpracht aus dem Steine entgegen. In den Mar»
mor komponiert sind die Phidias'schen Rosse, die
Gigantomachie, die Kämpfer aus dem Giebelfeld des
Aphaiatempels in Ägina.

Der größte nachgeborene Grieche, derTitane Michel»
Angelo, muß in den Marmorbrüchen von Carara dem»
selben Dämon verfallen gewesen sein, als er die Blödle
für das Juliusgrab auswählte. Auch er sah schon das
Gliederrecken seiner Helden und die in Fesseln ge-
schlagenenSklavenhguren in Stein. Die Griechen waren
aber nicht nur erfüllt von des Marmors glänzender
Pracht, sondern auch von der Gewalt des schimmernden
Erzes. Homers Helden sind voll der Bewunderung da»
für. Unvergleichlich ist die Schilderung von jenem herr»
liehen Erzsehild des Achill. Auf Myrons Kuh dichtete
man Epigramme. Was sich aus der Schule des Lysippus
erhielt, so z. B. ein bärtiger Männerkopf aus Bronze,
zeigt, daß die Griechen den Sinn der Bronze bis in das
letzte hinein verstanden und mit ihren göttlichen Hän»
den bis zurVollkommenheit der Form gesteigert haben.
Was allein noch die spätere römische Kunstindustrie
verarbeitete, läßt auf eine hohe und lange fortgesetzte
Tradition derErzbildnerei und desErzgusses schließen.
Die Jahrhunderte, in denen das antike Erbe in Schutt
und Asche derVölkerwanderung begraben lag, konnten
die Tradition doch nicht ganz vergessen lassen. Viel-
leicht durch die römische Provinzialkunst weiter ver»
pflanzt, blühte sie an den alten Bischofssitzen Hildes»
heim, Augsburg wieder auf.

Die Gotik war im wesentlichen anders gerichtet. Sie
hat ihre ersten Anfänge wahrscheinlich im Zimmer»
mannswerk — in der Holzkonstruktion, die dann auf
den Stein übertragen wurde. Im wesentlichen aber ist
der Sinn der Gotik organische Formung aus dem ge»
wachsenen Holze. Das Physionomisehe gotischer Bild»
nerei liegt nicht so sehr im Stein als im Holzschnitt.
Wie es letzten Endes für den noch gotisch gestimmten
Dürer nur den Holzschnitt gab, so auch für die eigent»
liehen Bildhauer, die Bildschnitzerei. Etwas vom
Lebensrhythmus dieser Menschen, ihr Gesicht, ihre

Bewegung, wie das Beinschrenken, strebt nach dem
Holze — ein hölzernes Narren» oder Elendsgesicht —
ein hölzerner Herrgott und hölzerne Gottesmutter —
ist gotisches Bekenntnis.

Mit dem Erz kommen sie im allgemeinen nur im
Glockenguß, in Reliquenschreinen, im Kleingerät und
Kleinplastik in nähere Fühlung. Nur in Frankreich,
Burgund, Italien lebt auch diese Kunst weiter. Sie er»
steht wieder in neuem Glänze mit der Renaissance.
Diese Periode schuf erst wieder den nötigen Spielraum,
die Zuständigkeit der Bronze für die neuen plastischen
bildnerischen Formideen. Eine Freiheit des Bildens und
Formens beginnt, wie sie der zweckgebundene, an
Himmel und Erde hängende, mittelalterliche Hand»
werker noch nicht kannte. Ein neues Lebensgefühl, ein
neuer Rhythmus schwingt in denMenschen. Die Geste
wird freier, bewegter, gewinnt erhöhten Ausdruck,
impulsiveres Leben. Zum erstenmal wieder seit der
Spät»Antike rückt das Physiognomische mimisch be»
deutsam in den Mittelpunkt der Darstellung. Bei Dona-
tello tritt dieser neue Mensch deutlich in die Ersdieinung.
Sein Gattamelata, sein Johannes, sind solche Gestalten.
Sie sind ganz im Sinne der künstlerisdien Forderung
der Erzbildnerei auf Silhouette, auf ein klares, deut»
liches Gegenstandsbild hin gearbeitet. Alles leiden»
schaftliche, pathetische, das heroisch Repräsentable, die
ruhende, wie die rethorische Geste, wie sie dann um
ein Jahrhundert später, die späte Renaissance und das
Barock nachdrüddidi pflegten, sie sind hier schon
vorgeahnt. Die Sprache des Erzes wird in der Zeit
BenvenutoCellinis freier aber auch spielerischer. Cel»
lini selbst ist schon Virtuos darin. Er versteht sich vor
allem trefflich aufs Technische. „Jedes Erz", sagt er,
„wenn es gegossen ist, muß mit Hammer und Grab»
Stichel nachgearbeitet werden, wie es die wundersamen
Alten getan und auch die Neueren". Man schälte von
der Oberfläche die rauhe Gußhaut ab und gab dem
Metall seinen feurig edlen Glanz. Man ziselierte den
Erzguß und gab ihm so die letzte Vollendung. Die
glatte reine Fläche des Metalls brachte erst seine volle
Schönheit zur Geltung. So konnte sich auch am besten
das feine grüne Oxyd bilden —, die herrliche Patina
der Bronze.

Die Augsburger Brunnen, die Münchener Werke
an der Residenz und viele Werke Vischers sind so
gearbeitet. Vischer griff aber auch jene Technik des
Erzgusses in Italien auf, welche die unmittelbare
Frische des Modells in ihrer ganzen Unmittelbarkeit

Kunst und Handwerk. Jahrg. 1924. 4. Vierteljahrsheft

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