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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 3.1868

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Meyer, Bruno: Das Luther-Denkmal zu Worms
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https://doi.org/10.11588/diglit.5183#0160

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offen, ist Lbereinandergeschlagen, so daß die Figur, von
bewegten Falten nmspielt, durch das Gewand kräftig hin-
durchscheint. Der linke Unterarm, auf dem die Bibel
ruht, hält den Rock in seiner Lage fest, während die rechte,
früher offen, jetzt leicht geballt, auf demBuche der Bücker,
als dem Grund und Urquell seiner Lehre und seines
Glaubens ruht. Diese Hand ist ein Meisterwcrk von
Ausdruck und Empfiudung, für das es kein bezeichnendes
Urtheil giebt, und derenWirkung hinreißend, mächtig, un-
beschreiblich ist. Keine Gewaltsamkeit liegt in ihrer Be-
wegung, nichts Maffives oder Plumpes, sondern der
bündige Ausdruck fester, unwandelbarer Ueberzeugung,
das unerschütterliche, siegessichere Bewußtsein von der er-
kannten Wahrheit, wie es sick in einer Kernnatur unwill-
kürlich, gleichsam naturnothwendig offenbart: „Das Wort
sie sollen laffen stahn!" Dieser Zug eiserner Energie ist
so wahr aus dem innersten Wesen des Mannes gegriffen,
daß noch nie eine Darstellung in ähnlicher Weise dem
geistigen Vollgewicht seiner Persönlichkeit gerecht geworden
ist. — Wic er dasteht, fest auf dem linken Bein, das rechte
entschieden vorgesetzt, den bedeutenden Kopf mit dem starken
Halse kräftig auf den Schultern, das Auge überzeugungs-
voll nach oben gerichtet, den Mund so geistvoll fein be-
wegt, als wollte eines jener Donnerworte ihm entfliehen,
dic eine Welt aus den Angeln hoben, — so bietet er den
vollen, reinen Genuß eines fest geschlossenen Daseins,
ciner mit sich einigen Persönlichkeit, eines ganzen Charak-
ters, der innern Kampf und Zweifel überwnnden und
hinter sich gcworfen hat, und im Bollgefühl der Wahrheit,
die ihn durchdrungen, und mit eherner Siegeszuversicht,
die ihn erfüllt, das Leben einsetzt, um sich und der Welt
die Freiheit des Geistes und des Gewiffens zu erobern.
— Nichts kann dem Verdienste ciner solchen Schöpfung
cine Steigernng hinzufügen, als die Thatsache, daß die
Statue wic selten cine, wirklich koloffal empfnnden und
für ihrcn Platz berechnet ist. Weder wcr die sehr
verbreitete klcinc Statnettc kennt, noch wer das große
Gypsmodell zu ebcner Erde gesehen hat, kann sick
cine rechtc, zureichcndc Vorstellung von der Wirkung des
Luther auf dcr Höhe des Postamcntes inmitten seiner
wackeren Streiter machen.

Ueber die anderen Theile des Denkmals dürfen wir
kürzer sein. Die Verschiedenheit der Hände, denen nach
dem Ableben des Meisters die Vollendung des Monu-
mentes übertragen werden mußte, macht sich in ihnen be-
greiflicherweise sehr fühlbar. Nur an einer Sockelfigur,
dem Wycliffe, hat Rietschel selbst nock Antheil. Wie
eine Personification des ewigen Friedens gemahnt es uns
aus dieser Gestalt, in der jeder Zoll sinnende Versenkung
in das göttlicke Wort zu sein scheint. Bei dem Aufbau
des Modells war ihm sein Scküler Adolf Donndorf
zur Hand gegangen. Diesem verdanken auck die beiden
besten unter den übrigen Vorreformatorcn, Waldus und

Savonarola, ihre tresiliche AuSführnng. Die friscke
Kraft in jenem, das uuheimlich lodernde, hinreißendc
Fener in diesem verkünden eine Meisterhand. Der Hnß
von einem zweitenSchüler Rietschel's, Gustav Kietz,
(dem Sieger in der Konkurrenz um das Uhlanddenkmal)
modellirt, steht schon durch seine Auffassung (in Abhängig-
keit von dem für das Portrait maßgebend gewesencn
Nepomnk-Typus) zurück. Doch kommt auch die Arbeit an
Schwung und Freiheit jenen drei Gestalten nicht gleich,
wenn schon diese Figur im Ganzen das Beste bleibt, was
Kietz an dem Denkmal gearbeitet.

Unter den vier Kämpen der Reformation sind die im
Vordergrunde stehenden fürstlichen Träger des Schwertes
weitaus am besten gelungen. Friedrich der Weise
im Kurornate (vonDonndorf), dieverschmähte Kaiserkrone
zu seinen Füßen, befriedigt im höchsten Grade und steht
seinem Borbilde, dem herrlichen Grabdenkmale des Fürsten
von Peter Vischer in der Schloßkirche zu Wittenberg
würdig zur Seite. Philipp von Hessen (Kietz) tritt
in den allgemeinen Grundzügen seiner Stellung in allzu
auffallenden Parallelismus zum Luther, und seine Figurist
nicht ganz korrekt; doch verdient die Frische im Ansdruck
des Kopfes Beifall. Melanchthon (Kietz) hätte man,
besonders neben Luther, bedeutender gewünscht; seine in
seltenem Grade unplastische Persönlichkeit hat dem Bildncr
unüberwindliche Schwierigkeiten dargebvten. Besser prä-
sentirt sich Reuchlin (Donndorf) trotz des auffallend
kleinen Kopfes: Gestalt und Faltenwurf sind freier
bewegt.

Höchst ungleich sind die drei Städtefiguren ausge-
fallen. Augsburg mit derKonfession und derFriedens-
palme (Kietz) gewinnt beim großen Publiknm viel Beifatt,
durch dieselben Eigenschaften, welche sie dem ernsteren und
reifercn Beschauer als ein oberflächliches Wcrk ersckeincn
laffen, eine ausdruckslosc Formcnschönheit und cinc un-
bedeutende Eleganz, Schwächen, die wesentlich aufRechnung
der Ausführung zu setzen sind. Speier ist ihr entschieden
überlegen: sie protestirt energisch, mit anfflammcndem
Zorn; aber sie bewegt sich etwas burschikos und er-
mangelt dcr sorgfältigen Durchbildung. Johannes
Schilling, der bekannte Mcister der Tageszeiten für die
Brühl'sche Terrasse, der sie in der zwölften Stunde über-
nommen, hat nicht Muße gehabt, sich in das Werk
und in seine Arbeit hineinzuleben. Dagegen hat wieder
Donndorf in der trauernden Magdeburg eine Meister-
schöpfung und eine der edelsten, tiefgefühltesten Figuren
des Denkmales hingestellt.

Die Reliefs des Denkmales sind unzweifelhaft sein
sckwächster Theil. Sie sind ein Beweis dafür, daß die
Berliner Bildhauersckule überhaupt, bewußt oder unbe-
wußt, noch immer, selbst in ihren größten Vertretern,
unter dem Banne derjenigen Anschauung steht, welche sich
inGottsriedSckadow's bekanntem Ausspruche daritellt,
 
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