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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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Warncke, Paul: Wilhelm Müller-Schönefeld
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"Niederrheinischer Brief", [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0034

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Niederrheinischer Brief.

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talmalerei. Die Dreiteilung des Bildes wirkt als Vorzug;
obwohl die drei Bilder verschiedenes darstellen, das
mittlere, grösste, die Gründung, die beiden äusseren
die Anfänge der Kultur durch das Eindringen des
Christentums und die Zerstörung, ist dem ganzen
doch durch das Zusammenstimmen der grossen Land-
schaft eine schöne Einheitlichkeit verliehen. — Und
das ist etwas, was dem grössten Bilde der Ausstellung,
dem Triptychon »Orpheus«, zu seinem Schaden fehlt.
Allerdings ist auch hier die sehr stimmungsvolle Land-
schaft einheitlich gehalten und an sich gut komponiert,
aber sie tritt zu sehr zurück; die grossen Figuren
drängen sich allzusehr vor, weil sie zu gleichwertig
gehalten sind, und es kommt dadurch eine gewisse
Unruhe in das Bild. Und das Gefühl der Einheit hat
der Beschauer auch trotz des Umstandes nicht, dass
es sich in der That um etwas Zusammenhängendes
handelt. Die Gestalten vom Gebirge herabkommender
Mänaden auf dem linken Bilde, die den Sänger töten
wollen, sind wieder vorzüglich und sehr realistisch;
etwas langweilig erscheinen die lauschenden Zuhörer
auf dem anderen Seitenbilde. Die Bewegung der
Mittelfigur aber, des Orpheus, wirkt steif, so trefflich
der Akt gemalt ist, und der sternenbesäte blaue Mantel
stört eher die Stimmung, als dass er sie hebt. Von
feinem malerischen Gefühl dagegen zeigt es, dass der
Künstler nur Bäume und Blumen sich dem Spiele
des Orpheus neigen lässt; die Verzauberung der Tiere
hat er auf dem Rahmen des Bildes leicht angedeutet.

Das Stilistische nun, das diesem Gemälde eigen,
findet sich in vielen der kleineren Bilder in grösserem
Masse und das ist es, was auf fremde Einflüsse deutet,
die der Künstler nicht immer schon genügend mit
Eigenem verschmolzen hat. Die Werke Botticelli's
und anderer Italiener haben unbedingt stark auf ihn
gewirkt und er hat dieser Einwirkung zu viel Aus-
druck gegeben, als dass sie nicht zuweilen, wie in
»Sage«, »Über den Wäldern« u. a., in Form und
Farbe auf fast unerfreuliche Weise hervortreten sollten.
Die Sucht zu stilisieren hat neuerdings einen beinahe
gefährlichen Charakter angenommen. Das ist zu
bedauern; wenn es aber nur einigermassen erträg-
lich sein soll, so muss man wenigstens die Em-
pfindung haben, dass es ganz nur der eigenen
Natur des Schaffenden entstammt, und dies Gefühl
lassen die allerdings nicht übertrieben stilisierten
Bilder Müller's zuweilen vermissen. Es ist ein
Porträt, ein Brustbild der »Frau Dr. K.«, wo das
nicht der Fall ist, obwohl es sehr streng im Stil ge-
halten ist. Den Hintergrund des Kopfes, der über-
aus fein in Farbe und Zeichnung, bildet das durch
zarte Linie und duftige Farbe angedeutete Meer, das
so gut zu diesen in die blaue Ferne blickenden klaren
Augen stimmt, Augen, wie sie sich bei der seefahren-
den Bevölkerung des deutschen Nordens finden.

Den Gegensatz zu diesem Kopf bildet der einer
schönen Italienerin mit glutvollen Augen und schwel-
lenden Lippen, ein kleines Meisterwerk, schon in der
Art, wie es, überaus knapp und doch gerade aus-
reichend, im Raum steht.

Von den kleineren Bildern, in denen eine tief- j

empfundene Stimmung trefflich wiedergegeben und
zugleich das Stilistische mehr überwunden ist, seien
erwähnt das heitere »Schäferidyll«, die »Abendstunde«,
»Es naht das Dunkel« und »die Hymne«, dessen Be-
zeichnung indes nicht glücklich gewählt ist. Auch
sind diese Stücke besonders reizvoll in der Farbe.
Vor allem aber sei aufmerksam gemacht auf »Meer
und Dämmerung«, ein Gemälde, das eine nordische
Felsenküste mit brandendem Meere zeigt, in die
durch die einsam dahinreitende Gestalt eines Ge-
panzerten etwas wundersam Geheimnisvolles hinein-
gebracht ist. Die Meisterschaft des Naturstudiums
zeigt sich in der Landschaft hier, wie in den aus dem
Süden entnommenen Motiven: Cypressen—Wald —
»Steine im Meer« — »Sonnige Steine« und »Stille«.

Der Künstler, der diese zahlreichen Werke
schuf, ist noch so jung, dass unsere zu Anfang aus-
gesprochene Hoffnung auf weitere Klärung und auf
Grösseres gewiss nicht unberechtigt erscheint. Er ist
am 20. Februar 1867 in Schönefeld bei Leipzig ge-
boren. Durch den Beruf seines Vaters wurde er auf
die Lithographie hingewiesen, und er erlernte sie unter
seiner Leitung. Nachdem er dann an der Leipziger
Akademie den ersten Unterricht im künstlerischen
Zeichnen genossen und eine grössere Fusswanderung
unternommen hatte, die ihn durch Tirol, die Schweiz
und an den Rhein führte, kam er nach Berlin, wo
er, nach dem frühen Tode seines Vaters, ganz auf
die eigene Kraft gestellt, die Akademie bezog. Drei
Jahre lang erwarb er neben dem fleissigen Studium,
oft die Nächte durcharbeitend, mit eiserner Energie
als Lithograph seinen Unterhalt und erhielt endlich,
nachdem ihm schon mehrere kleine Preise zu teil ge-
worden, das grosse Staatsstipendium zu einer Reise
nach Italien. Es war nur auf ein Jahr berechnet,
aber durch seine Kunst - das Leipziger Museum
hatte eins seiner Bilder, Adam und Eva, gekauft —
hatte er so viel erworben, dass er den ihn ganz hin-
nehmenden grossen Eindrücken des gelobten Landes
der Kunst mehr als zwei Jahre sich hingeben und
darauf noch eine Reise nach Paris unternehmen konnte.
Jetzt lebt der Künstler in Berlin.

Wer so viel Energie in der Überwindung hin-
dernder Schwierigkeiten und so viel unermüdlichen
Fleiss bewiesen, dem darf man eine Zukunft voraus-
sagen, und wenn er ein begabter Künstler ist, so
darf man wohl Hervorragendes von ihm erwarten.

PAUL WARNCKE.

»NIEDERRHEINISCHER BRIEF«.

Im alten Testament lesen wir, wie Bileam auszog
dräuenden Antlitzes gegen das wie eine Wolke heran-
ziehende Volk Israel, um ihm seinen zornigen Fluch
entgegenzuschleudern. Aber wie er anhebt, verwan-
deln sich zu seinem und der ihn Umstehenden Ent-
setzen seine Worte in Worte des Segens. Fast ein
wenig so erging es Schreiber dieses, als er an einem
der letzten schönen Herbsttage auszog, um das jüngst
von unserm Kaiser besuchte Schloss »Burg« an der
Wupper kennen zu lernen.
 
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