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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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Behmer, Hermann: Ist die Donna Velata des Palazzo Pitti ein Werk Rafael's
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0177

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

HERAUSGEBER:

Professor Dr. Max Gg. Zimmermann

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Gartenstrasse 15

Neue Folge. xi. Jahrgang.

1899/1900.

Nr. 22. 19. April.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur •Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasen-
stein 81 Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

IST DIE DONNA VELATA DES PALAZZO PITTI
EIN WERK RAFAEL'S?

Zu der Sixtinischen Madonna existieren keine be-
kannten Entwürfe und Vorstudien, wie zu anderen
Werken Rafael's. Einzelne Kunstschriftsteller haben
in der Donna velata der Galerie Pitti eine Studie zu
ihr sehen wollen; andere erklären dieselbe aber für
eine untergeordnete Arbeit von einer gewissen ober-
flächlichen Ähnlichkeit mit der Sixtina, aber mit sol-
chen Mängeln besonders so schwacher Zeichnung und
Modellierung, dass sie nicht als eine Rafaelische
Arbeit angesehen werden könne.

Verfasser dieses hat 1866 in Florenz das Bildnis
Leo x. mit den beiden Kardinälen de Medici und
de Rossi und 1868 die Donna velata kopiert. Das
erstere ist anerkannt das Werk Rafael's, wenn auch
die Neapolitaner sich rühmen, das Rafaelische Original
in ihrem Museo nazionale zu besitzen und das Floren-
tiner Bild für die von Andrea del Sarto gemalte Kopie
ausgeben. Beim Anblick des Neapolitaner Bildes ist
man freilich zuerst erstaunt über die grosse Überein-
stimmung mit dem Florentiner, aber bei längerem
Betrachten erkennt man Andrea del Sarto in seiner
Arbeit. Durch die Grundlage des Holzes haben beide
den gemeinsamen Charakter einer festen Malerei.
Aber bei näherer Betrachtung treten die Unterschiede
in der Behandlung der Farbe immer klarer hervor.

Beim monatelangen Betrachten und Nachbilden des
Florentinischen Pabstbildes fand ich meine früheren
Erfahrungen bestätigt, dass bei Rafael die Form und
die Farbe untrennbar vereinigt sind, und dass seine
Arbeit wesentlich eine a la Prima Malerei ist auf sorg-
fältig vorbereiteter Grundlage, wobei ohne Übermalung,
ja fast ohne Lasur ein harmonischer Fluss zustande
gekommen ist. Daher auch die Reinheit, man möchte
sagen Jungfräulichkeit seiner Farbe.

Der Charakter seiner Zeichnung ist auch der eines
ebenmässigen Flusses und Schwunges. Darin unter-
scheidet sich Andrea del Sarto in seiner Kopie. Er
kann es nicht unterlassen, den einfachen Schwung der
Linien Rafael's mit kleinen Druckern und Ecken zu
versehen, und so entsteht in den Köpfen anstatt des

grossen ruhigen und lebensvollen Ausdruckes bei Ra-
fael ein zwar lebhafterer aber kleinlicherer bei Andrea.

Ausserdem ist höchst charakteristisch, dass die
Lasurfarbe bei Andrea del Sarto wie eine rote Glas-
schicht über der Form schwimmt, namentlich im Kopfe
des Papstes und auf den hellroten Gewändern der
Kardinäle.

Das Florentiner Pabstbild zeichnet sich durch sei-
nen schönen Ernst und die hohe Würde des Tones
in seiner roten Farbenharmonie mit dem kostbaren
weissen Damaststoff aus, wie wir sie oft bei Tizian
bewundern.

Hervorragende Kritiker machen dem Bilde zum
Vorwurf, dass darauf die drei Figuren in keinem in-
neren Zusammenhange stehen, dass sie durch kein
gemeinsames Interesse verbunden sind.

Aber in diesem Nebeneinander und nicht Zuein-
ander ist die bestimmte Absicht des Meisters zu er-
kennen, die im Leben zusammenwirkenden Persönlich-
keiten im Bilde zwar äusserlich vereint, aber innerlich
voneinander geschieden darzustellen, um einer jeden
ihre selbständige Bedeutung zu geben.

Gerade die historische Objektivität ist bezeichnend
für Rafael in seinen Bildnissen, z. B. in dem des
Historikers Tommaso Phaedra Inghirami des Palazzo
Pitti. Er stellt den stark nach aussen schielenden
Mann so dar, dass dies das Auffallendste im Bilde
ist und der Beschauer erst sich daran gewöhnen muss,
ehe er die Vorzüge des Bildes würdigen kann.

Das Rafaelische Bildnis des Grafen Baldassare di
Castiglione im Louvre, von mir um 1860 kopiert,
ist auch ein Werk kühler Objektivität, was besonders
bemerkenswert erscheint, weil der Graf bekanntlich
Rafael's Gönner und Mäcen war und es vielleicht
nahe gelegen hätte, dem Bildnisse einen seelisch
wärmeren Ausdruck zu geben. Rafael zieht es vor,
den Grafen voll ruhiger natürlicher Würde darzu-
stellen, mit einem fein prüfenden Blick der Augen,
über denen die Linie der verschieden gehobenen
Augenbrauen wie ein beweglicher Wagebalken schwebt.

Auf diesem Bilde trägt zum Eindruck ruhiger ge-
schlossener Innerlichkeit nicht wenig die Haltung der
 
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