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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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Tafel, Hermann: Die Malerei von heute: ein Überblick
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0233

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

herausgeber:
Dr. Max Gg. Zimmermann

universitätsprofessor

Verlag von e. a. seemann in Leipzig, Oartenstrasse 15
Neue Folge. xi. Jahrgang. 1899/1900. Nr. 2g. 14. Juni.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Oewähr. Inserate, ä30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasen-
stein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

DIE MALEREI VON HEUTE.
Ein Überblick von Hermann tafel-Cannstatt.

Vor einigen Tagen besahen wir uns wieder einmal
eine Kollektivausstellung.

Drei grössere Räume waren dicht angefüllt, bis an
die Decke hingen Bilder und Studien.

Man konnte glauben, die Arbeit einer ganzen
Künstlerkolonie vor sich zu haben, und doch waren
es nur drei Damen, die sich zur Ausstellung vereinigt
hatten. In uns aber regte diese Überfülle Gedanken
von neuem an, die wir vor Jahren bereits ausge-
sprochen, als wir der merkwürdigen Erscheinung eines
so ungeheuren Zudrangs zur Malerei auf den Grund
zu gehen suchten.

Wir nannten damals das wohlbekannte »Honora-
tiorenbewusstsein« der Deutschen als eine jener ge-
heimnisvoll wirkenden Kräfte, welche so viele Unbe-
rufene zu einem Beruf verführen, der als vornehm
gilt, eine Überzeugung, welche durch zahlreiche Bei-
spiele solcher nur befestigt wird, die ein nützliches,
aber geringer geschätztes Gewerbe verliessen, um Maler
zu weiden.

Eines ist sicher, Angebot und Nachfrage, die bei-
den uralten Regulatoren jeglicher Produktion, haben
ihre Geltung, wenn sie je eine gehabt, in unserer
malenden Welt offenbar schon längst verloren; das
eben beweisen uns die so massenhaft auftauchenden
Kollektivausstellungen von Bildern und — Studien,
wie deren keine andere Zeit ähnliches aufzuweisen
hatte.

In der That ist hier Vernunft zum Unsinn ge-
worden, denn es ist wohl kaum zu leugnen, dass das
Wesen dieser Ausstellungen, deren anfängliche Be-
stimmung die Beobachtung des intimen Schaffens
der »Grossen« war, mit der Zeit etwas ausge-
artet ist. Es war diesmal der Fluch der guten That,
fortzeugend — nicht immer Gutes zu gebären.
So kam es nun, dass auch die Mittleren, die Kleinen
sozusagen in Hemdärmeln beobachtet sein, dass sie
in falscher Freigebigkeit der Mitwelt keinen Pinsel-
strich mehr vorenthalten wollten und jenes boshafte

Wort eines berühmten Malers wahr zu werden schien,
als er diese sich häufenden Kollektivausstellungen eine
Jagd um den Weltrekord in zurückgelegten Pinsel-
strichen nannte.

Dazu kommt ein anderes.

Keine andere Zeit kennt eine solch ungeheure
Produktion an Studien und niemals noch hat die
Studie eine solche Rolle in der Kunst gespielt, wie
heutzutage, wo sehr viele Bilder nichts anderes sind
als grossgemalte Studien.

»Wir haben eine Unzahl ausgezeichneter Studien-
maler, aber nur wenige Bildermaler«, ein Satz, den
man von älteren Künstlern gar oft hören kann, ist
nicht ganz von der Hand zu weisen; diese alten
»Bildermaler« gehören freilich einer Zeit an, in der
man noch nicht mit jenem überreizten nervösen Spür-
sinn jede Müdigkeit reflektiver Arbeit in einem Bilde
aufsuchte, um sie zu richten.

Die Frische der Skizze aber in einem Bilde zu
fordern, heisst die Ursprünglichkeit eines Liedes von
Epos und Drama verlangen, eine Forderung, die
Schopenhauer bekanntlich nur im Hamlet und im
ersten Teil des Faust erfüllt sieht.

Die auffallend zunehmende Neigung von Kunst-
1 freunden, Studien zu erwerben, deutet darauf hin,
J dass diese merkwürdige Verfeinerung unserer künst-
| lerischen Geschmacksnerven, eine Art vollendeter
Gourmandise, in einer Naturstudie die ganze Frische
ihres Entstehens vor der Natur zu geniessen, sich
weit über Künstlerkreise hinaus verbreitet hat. Zu-
gleich giebt sie aber eine Erklärung jener zahllosen
Kollektivausstellungen von Studien.

Freilich, wenn nur immer koloristische Individua-
litäten hinter diesen Ausstellungen stünden!

Aber wie unter den Konturenkünstlern in der
' ersten Hälfte dieses Jahrhunderts ausser Rethel nur
sehr wenige zu einer eigenartigen und gesunden Auf-
i fassung von Form und Linie, welche immer vor der
1 Natur bestehen kann, gelangten, so sind auch unter
unseren heutigen Koloristen die stark ausgeprägten
Individualitäten, die Männer mit den eigenen Augen
selten. Bei vielen ist vieles gemeinsam, ist Schule,
 
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